Mit dem Fall von El-Fasher hat die Welt einen erschreckenden Einblick in den sich abzeichnenden Völkermord im Sudan erhalten. Aus der autoritären Reaktion auf die sudanesische Revolution von 2019 sind zwei Ungeheuer erwachsen, die das Land verschlingen – und dabei eine Blutspur ziehen, die die Welt nicht ignorieren kann.
Seit Beginn des Bürgerkriegs zwischen den Rapid Support Forces (RSF) und den sudanesischen Streitkräften (SAF) im April 2023 sind im Sudan mehr als 150.000 Menschen ums Leben gekommen. Der Krieg hat 12 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben und eine der schlimmsten humanitären Krisen der Welt ausgelöst. Bei den Angriffen der RSF werden immer wieder dunkelhäutige, nicht-arabische Menschen ins Visier genommen, was die rassistischen und völkermörderischen Absichten hinter ihrem Machthunger offenbart.
Die Eroberung von El-Fasher durch die Rapid Support Forces ging mit systematischen sexuellen Übergriffen gegen Frauen und Kinder einher. Gesundheitseinrichtungen und ihr Personal wurden gezielt angegriffen. Es gibt Berichte, wonach junge Frauen zusammengetrieben und sexuell missbraucht wurden. Ein Muster, wie es aus früheren Völkermorden bekannt ist.
Während die Nachrichten vom Völkermord der RSF dominiert werden, hat die SAF auf der anderen Seite der Frontlinien Morde begangen, Aktivist*innen im Gefängnis verschwinden lassen und radikalen islamistischen Gruppen erlaubt, sich zu verbreiten und die Bevölkerung zu terrorisieren. Obwohl in den von der SAF kontrollierten Gebieten mehr Stabilität herrscht, handelt es sich um die illusorische Stabilität einer blutrünstigen Diktatur.
Angesichts dieser anhaltenden Gräueltaten gedenken wir unserer vier Genossen aus der Anarchist Group in Sudan, die in El-Fasher den Märtyrertod starben: Faisal Adam Ali, Radwan Abdel Jabbar („Kahraba“), Adam Kibir Musa und Abdel Ghaffar Al-Tahir („Al-Sini“). Wir rufen zu aktiver Solidarität mit denen auf, die für den Frieden im Sudan kämpfen. Wie unsere Genossen sagten:
“Direct struggle against power carries a steep price: our lives and our freedoms. Your comrades in Sudan chose not to remain silent – that is the nature of revolutionaries. We want peace and call for peace and the rejection of war, yet the most horrific expressions of racist authority in Sudan, imperial domination, and international rivalry are manifesting themselves. Therefore we ask you to expand support campaigns worldwide: our comrades have a right upon us – their defense of el-Fasher is a defense of all revolutionaries.”
Regierungen, die behaupteten, einen Waffenstillstand zu unterstützen, darunter Ägypten, die Vereinigten Staaten, Saudi-Arabien und andere, haben ihre Versprechen nicht eingehalten und nichts unternommen, um die sudanesische Bevölkerung zu schützen. Was in El-Fasher geschah, war zu erwarten, doch keiner der Staaten hat eingegriffen.
Wenn Sudanes*innen versuchen, vor den Schrecken des Konflikts zu fliehen, sehen sie sich in Nordafrika, dem Nahen Osten, Europa und überall mit Grenzen konfrontiert, an denen sie zurückgewiesen werden. Diese Grenzpolitik, die sudanesischen Flüchtlingen den Zugang verweigert und sie damit Hunger und Massakern aussetzt, muss als wesentlicher Bestandteil der anhaltenden Gewalt angesehen werden. In einer Zeit, in der Trump gleichzeitig den vorübergehenden Schutzstatus für Südsudanes*innen aufhebt und weisse Afrikaaner*innen als vermeintliche Opfer eines fiktiven „Völkermords” in Südafrika willkommen heisst, lässt sich die rassistische Grundlage dieses Grenzsystems nicht leugnen.
Dennoch leisten die Sudanes*innen Widerstand gegen die Barbarei und kämpfen auch unter diesen Bedingungen weiter für ihre Freiheit. Trotz der harten Bedingungen lebt der Widerstand im Sudan: Durch die Überreste der revolutionären Nachbarschaftsräte, unabhängigen Milizen und Suppenküchen. Unsere Genoss*innen in der Anarchist Group in Sudan verkörpern eine revolutionäre Militanz, die in den Kämpfen vor dem Bürgerkrieg von 2023 geformt wurde. Wer ausserhalb des Sudan steht, sollte nicht nur gegen den Krieg protestieren, sondern auch praktische Verbindungen zu den unabhängigen Organisationen der unterdrückten Klassen im Sudan aufbauen. Wir rufen ausdrücklich zur anarchistischen Solidarität und Unterstützung für die Anarchist Group in Sudan auf.
Der Krieg im Sudan könnte ohne die Beteiligung externer Mächte nicht fortgesetzt werden. Seit Generationen ist Afrika Schauplatz kolonialer Auseinandersetzungen, in denen ausländische Regierungen die natürlichen Ressourcen des Kontinents zu ihrem eigenen Vorteil aufteilen. Der koloniale Umgang mit Afrika hält bis heute in voller Stärke an. Mit dem Niedergang der globalen Hegemonie der USA eröffnet sich nun jedoch neuen regionalen Mächten der Raum, um sich ein Stück Afrikas zu sichern. Die wichtigsten externen Triebkräfte des Blutvergiessens im Sudan sind Ägypten und Saudi-Arabien, die die sudanesischen Streitkräfte unterstützen, sowie die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), die die RSF unterstützen und offenbar die grösste ausländische Macht im sudanesischen Bürgerkrieg sind.
Die VAE liefern der RSF unbegrenzt Drohnen, und was sie dafür zurückbekommen, ist ganz klar: etwa 2,3 Milliarden Dollar an Gold, das 2022 aus dem Sudan abgezogen wurde, sowie landwirtschaftliche Produkte und andere natürliche Ressourcen. Während die Sudanes*innen hungern und sterben, werden Milliarden von Dollar an Gold aus dem Land geschmuggelt, um einen weiteren profitablen Krieg für das globale Kapital zu finanzieren. Die Mitschuld der VAE am Völkermord in El-Fasher ist offensichtlich, und das ist keine Überraschung bei einem Land, das bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch schwarzafrikanische Sklavenarbeit einsetzte und weiterhin auf die extrem intensive rassistische Ausbeutung schwarzer und südasiatischer Wanderarbeiter*innen setzt.
Während die RSF keine Büros oder Botschaften unterhält, haben die VAE politische und wirtschaftliche Interessen rund um den Globus. Da der Tourismus 13 Prozent des BIP der VAE ausmacht, kann die weltweite öffentliche Meinung einen erheblichen Einfluss auf ihre Wirtschaft haben und sie dazu zwingen, ihre aussenpolitischen Entscheidungen zu überdenken. Die VAE wissen, dass sie ihre Wirtschaft weiter diversifizieren müssen, um sich von den Öleinnahmen unabhängig zu machen und investieren daher massiv in die Verbesserung ihres öffentlichen Images, um Tourismus und Investitionen zu fördern. So wurde beispielsweise der Hype der „Dubai-Schokolade” von der Regierung der VAE sorgfältig gefördert, damit die Menschen bei „Dubai” an Luxus und exotische Leckereien denken und nicht an eine repressive Diktatur, die auf Sklavenarbeit im eigenen Land und Völkermord im Ausland basiert. Organisationen der Arbeiter*innenklasse können sichtbare Stützpunkte der Interessen der VAE ins Visier nehmen, um auf deren Rolle beim Völkermord an Schwarzen zu lenken, ihre falsche Selbstdarstellung zu entlarven und einen starken wirtschaftlichen Schaden anzurichten.
Natürlich sind die VAE nicht der einzige mitschuldige Akteur. Unsere Genoss*innen haben berichtet, dass Waffen aus Grossbritannien ihren Weg in den Sudan gefunden haben, wahrscheinlich über die VAE. Wir müssen alle Staaten unter Druck setzen, ein Waffenembargo gegen Länder zu verhängen, die die Kriegsparteien im Sudan beliefern. Grossbritannien trägt ebenfalls eine historische Mitschuld: Der Anti-Schwarze-Rassismus der RSF-Truppen baut auf dem Erbe der britischen „Teile und herrsche“-Kolonialherrschaft im Sudan auf.
Durch die Solidaritätsbewegung für Palästina haben wir gesehen, dass der eigentliche Schlüssel zur internationalen Solidarität darin liegt, Macht von unten zu organisieren und das politische Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse aufzubauen. Ohne mächtige Massenorganisationen verbleibt die internationale Solidarität bei einem kleinen Kreis von Aktivist*innen, die sich von Thema zu Thema bewegen und „Bewusstsein schaffen“, ohne eine materielle Wirkung zu erzielen. Die Hafenarbeiterstreiks in Italien wurden durch jahrzehntelangen Klassenkampf ermöglicht. Erst der engagierte, geduldige und tief verwurzelte Aufbau von Klassenmacht durch viele Kämpfe schuf die Fähigkeit, sinnvolle internationale Solidarität in die Praxis umzusetzen. Das Wirksamste, was wir für die Freiheit im Sudan tun können, ist der Kampf im eigenen Land für eine Revolution gegen die globale rassistische imperialistische Kriegsmaschine.
Mit der globalen Solidarität der unterdrückten Klassen und unseren revolutionären Organisationen können wir unsere Genoss*innen unterstützen, die im Sudan für Freiheit und Überleben kämpfen, den Völkermord stoppen, den Krieg beenden und die unvollendete Arbeit der sudanesischen Revolution fortsetzen.
Unterzeichnet von den folgenden Mitgliedern der International Coordination of Organized Anarchism (ICOA):
아나키스트 연대 (Anarchist Yondae)
ACF – Anarchist Communist Federation
ACG – Anarchist Communist Group
BRRN – Black Rose Anarchist Federation / Federación Anarquista Rosa Negra
CAB – Coordenação Anarquista Brasileira
Die Plattform
Embat
FAR – Federación Anarquista de Rosario
FAS – Federación Anarquista Santiago
FAU – Federación Anarquista Uruguaya
La Tordo Negro – organización anarquista entrerriana
Midada
OAC – Organización Anarquista de Córdoba
OASC – Organización Anarquista de Santa Cruz
OAT – Organización Anarquista de Tucumán
ORA – Organización Resistencia Anarquista (Buenos Aires)
Organización Impulso Anarquista (Neuquén-Río Negro)
TA – Tekoşîna Anarşîst
UCL – Union Communiste Libertaire
Vía Libre Grupo Libertario
Anarchist Group in Sudan





