Grundsatzpapier
1. Das Bestehende verstehen
Soziale Situation
Die Schweiz ist eines der reichsten Länder weltweit. Innerhalb der Schweiz sind die Einkommen und Vermögen aber stark ungleich verteilt. Doch weil die Schweiz insgesamt wohlhabend ist, entsteht die gängige Haltung, dass niemand unter Armut leiden müsse. Armut ist relativ und kann nur in Bezug auf die regionalen Umstände und Lebenskosten betrachtet werden. Die prekären Lebenslagen sind vielfältig. Über 300‘000 Menschen in der Schweiz beziehen Sozialhilfe. Eine grosse Zahl von Menschen können sich zwar eine Art von Dach über dem Kopf und eine Form von Nahrung leisten, können aber, weil sie zu wenig Geld haben, nicht am gesellschaftlichen Leben (etwa Konzerte, Restaurants, Theater, Ausgang) teilnehmen. Genau weiss aber niemand, wie viele Menschen in der Schweiz von Armut betroffen sind oder an der Armutsgrenze stehen, weil Zahlen zu unterschiedlichen prekären Lebenslagen fehlen. Die Caritas spricht jedoch von 1,3 Millionen Menschen, die im Jahr 2024 armutsbedroht sind.
Wir stellen fest, dass die unterschiedlichen Menschen, welche in prekären Verhältnissen leben, in verschiedene, spezifische Kategorien eingeteilt und oftmals gegeneinander ausgespielt werden. Verschlechterungen können bei einzelnen Gruppen einfach eingeführt werden – und nach einer Testphase auf andere Bereiche ausgeweitet werden. So wurden beispielsweise die Leistungen in der Nothilfe für Asylsuchende gekürzt. Später wurde diese Praxis den Grundbedarf der Sozialhilfe für unter 25-jährigen und auf weitere unterstützte Personengruppen ausgeweitet.
Bis in die 1960/70er Jahre wuchsen die sozialstaatlichen Sicherungssysteme in der Schweiz und deckten Notlagen in vielen Lebensbereichen zu einem gewissen Mass ab. Ein System von Sozialhilfe, Nothilfe, Invalidenversicherung, Ergänzungsleistungen, Altersvorsorge (AHV, BVG, Pensionskasse), Arbeitslosenversicherung, Krankenkassen, und anderen sollten eigentlich die soziale Sicherheit und den Anspruch des Staates seinen Bürger*innen ein «menschenwürdiges Dasein», wie es die Bundesverfassung in Artikel 12 verspricht, garantieren. Seitdem erleben wir den fortschreitenden Abbau dieser Sicherungssysteme. Gründe hierfür sind unter anderem der Einfluss der neoliberalen Politik sowie einer zugespitzten globalen Konkurrenz und eines gesteigerten Klassenkampfs von oben (→ Klassen). Die Interessen grosser Firmen und der besitzenden Klasse werden höher gewertet und auf parlamentarisch politischer Ebene rücksichtslos durchgesetzt (→ Staat). Dies sehen wir beispielsweise an den unterschiedlichen Versuchen, die Unternehmenssteuern in der Schweiz zu senken. Wenn dann diese Steuergelder von Unternehmen wegfallen, argumentieren bürgerliche Politiker*innen, dass die Gelder für sozialstaatliche Sicherungssysteme fehlen. Diese werden in dieser Logik laufend gekürzt und drängen einen Teil der Lohnabhängigen in noch prekärere Situationen (→Parlamentarismus).
Teile dieser Entwicklung sind die Vermarktlichung und Privatisierungen von Leistungen des Sozialstaates, die Kürzung sozialstaatlicher Leistungen, die Koppelung von Sozialleistungen an die Erfüllung strenger Anforderungen und damit eine schleichende Aushebelung des Absicherungsgedanken der staatlichen Sozialversicherungssysteme. In der Schweiz ist zudem der Grundgedanke vorherrschend, dass Menschen für ihre Verhältnisse selbst verantwortlich sind. Somit löst der zunehmende Neid die gewünschte Solidarität ab, weil die «fleissigen Arbeiter*innen» nicht für die «Sozialschmarotzer*innen» bezahlen wollen. Diese Haltung verunmöglicht einen solidarischen, entstigmatisierten Umgang mit den Themen Armut, Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter, Beeinträchtigung und Sucht.
Die Angriffe auf die sozialen Sicherungssysteme sorgen für materielle Not, soziale Ausgrenzung und massive gesundheitliche Probleme von immer mehr Menschen unserer Klassen. Gleichzeitig verbreiten sich Abstiegsängste und Anpassungsdruck. Die zugespitzte globale Konkurrenz hat trotz deutlicher Produktivitätssteigerungen eine Erhöhung der tatsächlichen Lohnarbeitszeit und der Anforderungen am Arbeitsplatz zur Folge. Es findet eine Prekarisierung der Arbeitswelt statt. Kurze Anstellungsverhältnisse (sowie Nullstundenverträge/Arbeit auf Abruf) und eine verstärkte Austauschbarkeit setzen Lohnabhängige unter Druck und verkleinern deren Handlungsmöglichkeiten.
Vor allem migrantische Lohnabhängige arbeiten in prekären Arbeitsbereichen. Sie sind aufgrund Herkunft, Sprachkenntnissen, eingeschränkter Vernetzung und der fehlenden Anerkennung von bisheriger schulischer und beruflicher Erfahrung benachteiligt und erpressbar. Chef*innen stellen migrantische Lohnarbeiter*innen zu geringeren Löhnen an, halten sich nicht an das Arbeitsrecht und drohen bei Widerstand mit Entlassungen. Auch bei den Ansprüchen von Leistungen der Sozialversicherungen sind migrantische Menschen diskriminiert, da diese oft von Einzahlungsjahren und Höhe der Einzahlungsbeträgen abhängig sind. Zudem kann der Bezug von Sozialhilfe ohne Schweizerpass zu einer Rückstufung resp. zum Verlust der Aufenthaltsbewilligung führen. Geflüchtete Menschen, (abgewiesene) Asylsuchende und Sans Papiers leiden einerseits unter starker Repression, die mit strukturellem Rassismus zusammenhängt, andererseits werden sie durch das Asylsystem systematisch vom Rest der Gesellschaft isoliert. Dies zeigt sich beispielsweise an den abgelegenen Standorten der Lager und an dem Zwang, dass die Menschen immer in den ihnen zugewiesenen Lagern übernachten müssen (→ Rassismus).
Durch Vereinzelung und Auslagerung werden die gemeinsamen Interessen der Arbeiter*innen verschleiert, was einen gemeinsamen Widerstand erschwert. Die in der Logik des sozialen Friedens gefangenen Zentralgewerkschaften haben auch keine Antwort auf diese Entwicklungen – Arbeitskämpfe oder grössere Streiks sind deswegen eine Seltenheit. Nachhaltig wirkende Protest- und Widerstandsformen für soziale Themen jeglicher Art sind kaum verbreitet und wo diese existieren, beschränken sie sich zum Grossteil auf individuell handelnden Einzelpersonen. Diese Handlungen bleiben damit für Aussenstehende unsichtbar und in ihrer Wirkung wenig erfolgreich. Aber sie können anschlussfähig für kollektiv geführte Kämpfe werden (→ Arbeiter*innenbewegung und Gewerkschaften). Zudem stellen wir fest, dass einzelne Proteste unter Ausschluss der Betroffenen oder mangelnder Zugänglichkeit für diese stattfanden. Der Widerstand und die Unterstützung im Einzelfall sind ebenfalls schwierig, da die unterschiedlichen sozialstaatlichen Akteur*innen intransparent handeln und Entscheidungen willkürlich fällen. Die schwammigen gesetzlichen Grundlagen und wenigen Präzedenzfälle machen es ebenfalls schwieriger, sich auf juristischer Ebene gegen Entscheide zu wehren. Es fehlen unabhängige, kostenlose Rechtsberatungs- und transparente Ombudsstellen.
Die Lebenskosten in der Schweiz sind im weltweiten Vergleich sehr hoch. Ein grosser Teil der Lohnabhängigen kann diese nicht oder kaum bewältigen. Der (soziale) Wert, «einer Arbeit nachzugehen» und den Lebensunterhalt finanziell selbstständig zu bewältigen, ist enorm hoch. Sozialstaatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen, wird verpönt und zeugt von selbstverschuldeter Niederlage. Arbeitslosengelder sind an die Auflage gekoppelt, alles zu unternehmen, um baldmöglichst wieder in den Arbeitsmarkt reintegriert zu sein. So müssen sich Arbeitslose und Menschen mit Behinderung im zweiten und dritten Arbeitsmarkt – in Arbeitsintegrationsprogrammen – beschäftigen. Dies ist ein Ausdruck der weit verbreiteten, bürgerlichen Ansicht, dass Leistungen immer mit Gegenleistungen verbunden sein müssen. Solche Arbeitsintegrationsorte bieten Dienstleistungen und Produkte, welche zu Billiglöhnen produziert und angeboten werden können. Diese stellen eine absurde Konkurrenz für Lohnabhängige im ersten Arbeitsmarkt dar. Das Konzept der zweiten und dritten Arbeitsmöglichkeiten zwingt Menschen in erniedrigende Verhältnisse. Es ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen, dass das Ziel der «Reintegration» erreicht wird.
Ein weiterer Faktor des wachsenden sozialen und ökonomischen Drucks auf die Klasse der Lohnabhängigen sind steigende Mieten. Dies zeigt sich noch stärker in den Städten, in denen ganze Viertel durch Gentrifizierungsprozesse «aufgewertet» und die bestehende Wohnbevölkerung durch die erhöhten Mieten verdrängt werden. Das führt zusätzlich zum Verlust oder der Beschädigung von sozialen Beziehungen, die mit dem Wohnumfeld zusammenhängen.
Zahlen zu Obdachlosigkeit können in der Schweiz nur teilweise erfasst werden. Trotzdem konnte die erste Studie feststellen, dass zum Zeitpunkt der Messung mindestens 2200 Menschen in der Schweiz wohnungslos und 8000 Menschen von bevorstehendem Wohnungsverlust bedroht waren. Wohnungslose Menschen übernachten in den wenigen Plätzen in Notunterkünften, bei Bekannten oder im öffentlichen Raum (rough sleepers). In der Obdachlosenhilfe besteht die Vorstellung eines Stufenkonzepts, welches die Menschen aus der Obdachlosigkeit «befreit», über ein betreutes Wohnen, zum begleiteten Wohnen bis zum autonomen Wohnen wieder integrieren und Wohnkompetenz vermitteln soll, während das eigentliche Bedürfnis von wohnungslosen Menschen nicht berücksichtigt wird: Sie wollen (sicher) wohnen.
Klassen
Der Kapitalismus ist das aktuelle Wirtschaftssystem. Er umfasst alle Gesellschaftsbereiche und wir leben alle darin, ganz egal, wo wir wohnen (→ Kapitalismus). Dieses System funktioniert nur über die Unterdrückung und Ausbeutung fast aller Menschen durch ein paar wenige. Diese ganz vielen sind wir, die lohnabhängigen Klassen: Die Angehörigen dieser Klassen sind darauf angewiesen, ihre Arbeitskraft für Lohn zu verkaufen, um überleben zu können. Sie werden durch die Klassen der Kapitalist*innen unterdrückt, welche die Produktionsmittel, also Unternehmen, Fabriken, Häuser sowie Grossgrundstücke und/oder Ressourcen besitzen und kontrollieren. Die Klassen haben entgegengesetzte Interessen, die sich nicht vereinen lassen: Chef*innen wollen dir einen möglichst geringen Lohn bezahlen. Dies nicht unbedingt, weil sie schlechte Menschen sind, sondern weil etwa das Überleben der Firma auf dem Spiel steht. Du hingegen willst einen möglichst hohen Lohn, damit du auch mal die Füsse hochlagern kannst. Wir sind eine Organisation, die für die Interessen der unterdrückten Klassen kämpft.
Grundlage der Ausbeutung und Unterdrückung der lohnabhängigen Klassen ist das Privateigentum an Produktionsmitteln, Ressourcen und lebenswichtigen Gütern. Die Hauptaufgabe des Staates ist der Schutz des Privateigentums, wofür er sein durch Gesetze garantiertes Gewaltmonopol einsetzt. Das heisst nicht nur, dass du mit körperlicher Gewalt daran gehindert wirst, etwas zu klauen. Schon das Wissen, dass du bestraft werden kannst, wenn du erwischt wirst, reicht meistens aus. Zu dieser direkten und indirekten Gewalt kommen noch Gesetze. Dank den Gesetzen ist es einfach, reich zu bleiben und schwierig reich zu werden. Dies ist die institutionelle Gewalt. Weil die lohnabhängigen Klassen dies mittlerweile so fest verinnerlicht haben, ist ein sozialer Frieden möglich, auch wenn die Gegensätze zwischen den Klassen nicht verschwunden sind. Die besitzenden und die lohnabhängigen Klassen können durch zwei Steinböcke dargestellt werden, die kurz davor sind, die Köpfe aneinander zu schlagen. Falls sie das tun, ist das ein offener Klassenkampf oder Klassenkonflikt. Nur weil die Steinböcke in einem Moment gerade nicht aufeinander losgehen, ist der Konflikt aber nicht gelöst: Auch wenn ein scheinbarer sozialer Frieden herrscht, bestehen die entgegengesetzten Interessen der Klassen weiter.
Der soziale Frieden wird nicht nur über diese Gewaltverhältnisse gewahrt, sondern auch mit anderen Mitteln. Etwa durch die in den Gesetzen und den Köpfen verankerte Form der Gewerkschaftsarbeit. Funktionär*innen und Bosse sitzen gemütlich in einer Runde und handeln Verträge aus (Sozialpartnerschaft). In den meisten von diesen Verträgen, den Gesamtarbeitsverträgen, werden dann Kampfmassnahmen verboten (Friedenspflicht) oder durch die glänzende Konsumwelt, die dazu verlockt, reale gesellschaftliche Probleme zu vergessen. Ein anderes Mittel ist die Zerstörung von sozialen Beziehungen. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Gentrifizierung, also dass lebendige Nachbarschaftsstrukturen in Arbeiter*innenvierteln durch Aufwertungen und Mietpreiserhöhungen und daraus folgender Verdrängung zerstört werden. Durch die daraus folgende Vereinzelung werden Gemeinsamkeiten verschleiert und Organisierungen erschwert. Entscheidungsträger*innen wollen uns glauben lassen, dass es zu Kapitalismus und Herrschaft keine Alternative gibt – und sichern und rechtfertigen ihre Herrschaft durch scheinbare oder kaum bezahlbare Mitbestimmung.
Die Klassen kennen keine regionalen oder staatlichen Grenzen – die Situation etwa von Velokurier*innen in Bern und in Yokohama ähneln sich. Klar gibt es Unterschiede zwischen den Regionen und den jeweiligen Lebensverhältnissen, aber die Gemeinsamkeiten zwischen den Kurier*innen sind grösser als die zwischen ihnen und reichen Grossunternehmer*innen am selben Ort. Im Gegensatz etwa zu der klassischen marxistischen Lehre gibt es aber nicht einfach nur zwei klar definierte Klassen, die einander unversöhnlich gegenüberstehen. Die Realität ist komplizierter: Topmanager*innen besitzen eigentlich keine Produktionsmittel und beziehen auch Lohn. Sie zu den lohnabhängigen Klassen zu zählen, wäre aber gewagt, wenn wir auf ihre Millionengehälter schauen. Selbständige Handwerker*innen auf der anderen Seite besitzen Werkzeuge und Maschinen und Lieferwagen, also Produktionsmittel. Sie können aber trotzdem kaum zu den besitzenden Klassen gezählt werden, da sie auf ihre eigene Arbeit angewiesen sind, um zu überleben. Auch durch Systeme mit mehreren Subunternehmen gibt es neue Arten von Chef*innen. Gleichzeitig sind sie aber auch selbst jederzeit ersetzbar und ebenso lohnabhängig, nur bekommen sie ein etwas grösseres Stück vom Kuchen.
Andererseits gehören auch Menschen zu den lohnabhängigen Klassen, die keinen Lohn erhalten. Dazu gehören beispielsweise Eltern, die für ihre Sorge- und Hausarbeit keinen Lohn erhalten, Arbeitslose oder IV-Bezüger*innen. Hinzu kommen andere Lebensrealitäten, die in unserer Region selten vorkommen, aber ebenfalls darunterfallen: Unter anderem diejenigen, die keine reguläre, legale Arbeit haben (informelle Arbeit) oder von selbst gesammelten, gejagten und selbst angebauten Lebensmitteln und Gütern, also von Subsistenzwirtschaft, leben.
Damit das kapitalistische System Erfolg haben kann, muss die Mehrheit der Menschen der Überzeugung sein, dass sie nichts ändern können – was auch stimmt, wenn es nur Einzelne versuchen. Die Macht der Lohnabhängigen ist aber unermesslich, wenn sie zusammen handeln. Das Bewusstsein zu diesen Klassen und das Verständnis, zu welcher Klasse wir gehören, ist Voraussetzung, damit wir handlungsfähig sein können. Deswegen lehnen wir das Konzept Mittelschicht ab, auch wenn wir von mehr als zwei Klassen sprechen. Mittelschicht ist ein schwammiger Begriff, der fast alle einschliesst und darum die Gegensätze zwischen den Klassen verwischt – es gibt für fast alle Menschen Gruppen, die unter und über ihnen stehen.
Eine Klasse ist keine unteilbare Einheit. Andere Macht- und Unterdrückungsformen spielen ebenso eine Rolle: Zum Beispiel können Klassen entlang von Geschlecht, Hautfarbe und Sprache gespalten werden. Dies benützen die besitzenden Klassen gerne, um die Kosten tief zu halten: FINTA und Ausländer*innen erhalten zum Beispiel oft weniger Lohn (→ Patriarchat, → Rassismus). Dies ist natürlich nicht der Fehler dieser Menschen, sondern die besitzenden Klassen nutzen die fehlende Einheit der lohnabhängigen Klassen aus.
Ein Staat kann die wirtschaftliche Stellung einer Person fördern oder einschränken. Deswegen können wir nicht über Klassen sprechen, ohne die Machtverhältnisse zu betrachten. Deine Hautfarbe, deine politische Haltung, dein Geschlecht oder dein Glaube können deine Kassenzugehörigkeit unabhängig von der wirtschaftlichen Stärke von dir oder deinen Eltern bestimmen. Ebenfalls kann eine Person die Klassenzugehörigkeit wechseln, aufgrund ihrer Stellung innerhalb des politischen Systems (→ Staat). So sind ranghohe Militärs oder Politiker*innen ebenfalls Teil der herrschenden Klasse und nicht Teil der unterdrückten Klassen, auch wenn sie keine Produktionsmittel besitzen. Jedoch haben sie durch ihre Position innerhalb des Staates oder einer mächtigen (staatsnahen) Organisation (→Arbeiter*innenbewegung und Gewerkschaften) grossen gesellschaftlichen Einfluss und sind in der Lage, die unterdrückten Klassen zu bevormunden.
Patriarchat
Das Patriarchat ist ein System, das soziale Beziehungen und Geschlechterverhältnisse in eine hierarchische Beziehung setzt, die in der Gesellschaft wirken. Es ordnet Geschlechterkategorien in unten und oben und beschreibt die Vorherrschaft des männlichen Geschlechts. Dies, in einer binären Geschlechterordnung, welche davon ausgeht, dass es ausschliesslich Männer und Frauen gibt.
Das Patriarchat existiert nicht seit jeher. Zahlreiche historische und archäologische Forschungen belegen dies. Auch heute noch gibt es Kulturen, die anders organisiert sind. Bei den Mosuo (Volksgruppe im Südwesten Chinas) etwa besitzen die Frauen Häuser, Höfe und Geschäfte und vererben sie an ihre Töchter weiter. Und die Männer kümmern sich um die Erziehung der Kinder ihrer weiblichen Verwandten. Bis heute wird darüber diskutiert, wann genau das Patriarchat entstanden ist und welche Faktoren seine Entwicklung ermöglicht haben. Es kann festgehalten werden, dass das Patriarchat vom Kapitalismus geprägt und dieses durch den Kapitalismus umgestaltet wurde. Gleichzeitig wurde der Kapitalismus auch durch das Patriarchat beeinflusst. So sind die Spaltung und das gegenseitige Ausspielen der Ausgebeuteten, z. B. entlang der Kategorie Geschlecht, wichtige Mechanismen der herrschenden Klassen bei der Aufrechterhaltung des Kapitalismus. Wir müssen also Patriarchat und Kapitalismus als voneinander abhängig verstehen.
Die sexistische Unterdrückung, der Rassismus (→ Rassismus) und die Klasse sind die drei sozialen Beziehungen, die wir in der Gesellschaft vorfinden, die alle auf einmal den Effekt haben, zu beherrschen, zu unterdrücken und auszubeuten. Diese sozialen Beziehungen gehen ineinander auf, verändern die Wirkung anderer Unterdrückung und haben somit eine Wechselwirkung untereinander. Deshalb sprechen wir von Intersektionalität. Unterdrückung und Ausbeutung sind jedoch nicht kumulativ, sondern qualitativ. Eine unterdrückte Person oder eine beherrschte Gruppe ist nicht unterdrückter als eine andere unterdrückte Person. Andererseits kann man auch nicht sagen, dass, da die Unterdrückungen nicht kumulativ sind, also alle gleich unterdrückt sind. Die Rolle, wie die eine oder andere Unterdrückungsform (Rassismus, Klasse und Patriarchat) in der Herrschaftsgesellschaft ausgeprägt ist, hängt auch von den Verhältnissen, die an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit gegeben sind, ab.
Das Patriarchat verstehen wir als die Gesamtheit aller Unterdrückungsmechanismen, die sich gegen Menschen richten, die keine cis Männer sind (cis bedeutet, dass sich die Person mit dem Geschlecht, welches ihr bei der Geburt zugeteilt wurde, identifiziert). Es durchdringt und wirkt in alle Lebensbereiche: Im ganz klassischen Sinne von der Stellung von Frauen in der Gesellschaft, über verschiedene Formen der Ausbeutung bis hin zu unseren alltäglichen Beziehungen. Weiter verunmöglicht es Geschlechteridentitäten jenseits des binären Geschlechterverhältnis, wie trans, inter und nicht-binäre Menschen.
Spätestens bei der Geburt wird jedem Menschen ein Geschlecht zugewiesen und dieses wird auch gewaltsam durchgesetzt, z.B. mit Operationen an den Geschlechtsteilen von inter Kindern, wenn die körperlichen Merkmale nicht eindeutig sind. Diese Zweiteilung der Geschlechter ist nebst der Vorrangstellung des Mannes die Grundlage des Patriarchats. Aber auch diese sogenannt natürliche Geschlechtertrennung ist eine soziale Konstruktion. Geschlecht kann keine natürliche Kategorie sein, denn eine Kategorie ist ein Gedankenkonstrukt.
Das Patriarchat liefert die Grundlage für Rollen- und Aufgabenteilungen und Verhaltensweisen, die den binären Geschlechtern zugeschrieben werden. Es entstanden Frauenberufe, die weiblich zugeordnete Charaktereigenschaften voraussetzen und als Gegenstück Männerberufe, die dem männlichen Geschlecht zugeschriebene Eigenschaften, wie Geschick, Logik, Intelligenz und physische Stärke, voraussetzen. Die ungleiche Entlöhnung bei gleicher Arbeit (Gender Pay Gap) ist ein offensichtlicher Ausdruck der (unter)ordnenden Wirkung des Patriarchats innerhalb der lohnabhängigen Klassen. Auch Verhaltensweisen werden nach wie vor entsprechend dem bei der Geburt zugeteilten Geschlecht zugeordnet. Verhalten sich Menschen nicht konform, als plakatives Beispiel würden Männer emotional mit Tränen auf Erlebnisse reagieren oder Frauen aggressiv und laut für ihre Rechte einstehen, löst dies negative Reaktionen aus. Dies zeigt auf, dass auch cis Männer trotz ihrer Privilegien, die durch ihr Geschlecht bestehen, die negativen Folgen des Patriarchats erleben und ihre Leben nicht so gestalten können, wie sie die eigentlich gerne würden, wenn sie nicht dem patriarchal definierten Bild des Mannes entsprechen.
Auf ökonomischer Ebene bedingt der Kapitalismus marginalisierte Gruppen. So brauchen die Kapitalist*innen für einen möglichst grossen Profit Menschen, die im Hintergrund all jene Arbeiten erledigen, welche dafür sorgen, dass die Arbeiter*innen jeden Morgen pünktlich zur Arbeit erscheinen können und wieder leistungsfähig sind. Diese Reproduktions- oder Care-Arbeiten werden in unserer Gesellschaft zu grössten Teilen von Frauen übernommen. Mütter, Putzfrauen, Erzieherinnen und Grossmütter sorgen so beispielsweise dafür, dass der Haushalt gemacht ist, Kinder zu wohlerzogenen, braven Arbeiter*innen erzogen und kranke Familienangehörige gepflegt werden. Wir teilen die These, dass die Rechnung im Kapitalismus nicht aufgehen würde, müssten Firmen und Staaten für all jene bis heute unbezahlte Arbeit entlöhnen. So haben Kapitalist*innen ein Interesse daran, dass diese Arbeiten weiterhin unbezahlt bleiben. Zudem hat die jahrelange unbezahlte Sorgearbeit weitere Konsequenzen. Durch nicht einbezahlte Beiträge in die zweite Säule, der beruflichen Vorsorge, tragen Frauen ein erheblich grösseres Risiko im Alter von Armut betroffen zu sein.
Wenn die Arbeiten nicht familienintern übernommen werden, können sich gutsituierte Menschen Reproduktionsarbeiten einkaufen. So übernehmen andere Menschen zu möglichst günstigen Konditionen jene Arbeiten. Diese Arbeiten werden von Kindertagesstätten, Putzdiensten oder privaten Haushalts- und Kinderbetreuungsdiensten übernommen. Oft werden diese Arbeiten an migrantische Frauen und women of colour weitergegeben, welche diese Aufgaben aus finanzieller Not annehmen und so einer Doppelbelastung von prekärer ökonomischer Situation durch schlecht bezahlte Care-Arbeit und der Care-Arbeit in der eigenen Familie ausgesetzt sind.
Weiter besteht auf dem Arbeitsmarkt eine offensichtliche Lohnungleichheit. Frauen verdienen nach wie vor weniger als Männer, haben höhere Abgaben bei den Gesundheitsversicherungen und erleben ungerechte Behandlung im Arbeitsrecht, wie zum Beispiel die Kündigung wegen oder während einer Schwangerschaft.
Viele FINTA sind von Gewalt aufgrund ihres Geschlechts betroffen. Diese äussert sich oft, wenn auch nicht ausschliesslich, in häuslicher Gewalt und Morden aus sexistischen Beweggründen (=Feminizid). Der grösste Teil aller FINTA erlebt in ihrem Leben sexualisierte Gewalt. Auf staatlicher Ebene bestehen Gesetzesartikel gegen sexualisierte Gewalt, häusliche Gewalt und für die materielle und immaterielle Hilfe von Betroffenen in Form von Opferhilfegesetzen. Diese Gesetze sind das Ergebnis von Kämpfen. Denn der Staat kümmert sich nicht aus eigenem Antrieb um die betroffenen Personen. Er stellt diese spärlichen Mittel unter sozialem Zwang zur Verfügung. Deswegen ist es notwendig, sich dauernd für den Erhalt dieser Mittel einzusetzen.
Die (para-)staatlichen Angebote bieten Betroffenen leider oft die einzige Möglichkeit, sich zu schützen, zu wehren oder mit dem Erlebten zurecht zu kommen. Es ist aber paradox, dass diese Gesetze in einem Staat bestehen, der Sexismus gleichzeitig reproduziert: Werden staatliche Repressionsorgane wie die Polizei aufgrund eines z.B. Sexualdeliktes eingeschaltet, wenden diese Methoden an, die Betroffene weiter entmächtigen, erniedrigen und teils retraumatisieren.
Das Patriarchat im Kapitalismus versucht Frauen, trans, inter und nicht-binäre Menschen unsichtbar zu machen, unter sich zu spalten und wiederum zu homogenisieren, wie es gerade notwendig erscheint. So wird das Modell der erfolgreichen Geschäftsfrau als Beispiel genommen, das den Frauen der sogenannten Mittelschicht bis in die besitzende Klasse aufzeigt, dass diese es doch auch schaffen können. Firmen geben sich feministisch, in dem sie ihre Frauenförderung und ihre Frauenquote oder LGBTQ+-Freundlichkeit betonen. Gleichzeitig wird eine klare Linie zwischen den erfolgreichen Frauen und «unerfolgreichen» Frauen, Frauen mit gesellschaftlich als unethisch betrachteten Berufen wie der Sexarbeit und unbezahlten Care-Arbeiterinnen gezogen. Anstatt Gemeinsamkeiten zu erkennen und gegenseitige Unterstützung zu fördern, entstehen neue Gruppen, Missgunst und die vom Patriarchat unterdrückte Gruppe wird gespalten. Bei einigen entsteht die Ansicht, vom Patriarchat und vom Kapitalismus auch profitieren zu können, würden sie sich den gewünschten Normen unterordnen und das patriarchale Spiel des Heraufarbeitens mitspielen.
Weiter müssen wir benennen, dass Frauen, trans, inter und nicht-binäre Menschen, die von Armut betroffen sind, weniger Chancen auf ein sicheres, gewaltarmes Leben haben. Mehr Sicherheit kann durch die Möglichkeit einer eigenen Wohnung, Notschlafstellen ohne cis Männer und finanzielle Unabhängigkeit ermöglicht werden. Viele Frauen wohnen beispielsweise aus finanzieller Abhängigkeit mit einer gewaltausübenden Person zusammen, obwohl sie andauernd Gewalt erleben und diese eigentlich durchbrechen wollen. In den Medien und auf staatlicher Ebene wird oft vom Stockholmsyndrom gesprochen und die betroffenen Frauen werden verurteilt, weil sie immer wieder zu ihren Peinigern zurückkehren. Hier fehlt eine strukturelle Betrachtungsweise und eine ökonomische Unterstützung, die Gewaltbetroffenen eine Unabhängigkeit garantieren kann.
Der Staat
Die Entwicklung des modernen Staates begann im 16. Jahrhundert während der Reformation. Wegen der religiösen Umwälzungen konnte die politische Macht nicht mehr durch göttliche Macht begründet werden und der Staat begann, sich über eine nationale Erzählung zu rechtfertigen. Mit der Reformation wurde zunehmend politische Macht von religiöser Macht getrennt. Ein Effekt dieser Entwicklung war, dass der Staat sich zunehmend für seine Bürger*innen zu interessieren begann. Die Bewohner*innen des Territoriums wurden erfasst, kategorisiert und besteuert.
Ein weiterer wichtiger Moment beim Aufbau des modernen Staates ist die Französische Revolution. Zwischen der Reformation und der Revolution entstand eine neue Klasse: Das Bürgertum. Obwohl es im Vergleich zu Adel und Klerus (Priesterstand) politisch schwach blieb, stiess es auf günstige Bedingungen für seine wirtschaftliche Entwicklung und wurde immer einflussreicher. Die industrielle Entwicklung vergrösserte die soziale Basis des Bürgertums und führte zu einer gewissen politischen Stärke. Die so angewachsene Macht kollidierte schliesslich mit dem starren feudalen System.
Die Französische Revolution war kein abrupter Bruch. Das Ende der Monarchie und die endgültige Einrichtung eines bürgerlichen Staates stellen einen Prozess dar, der sich über ein ganzes Jahrhundert hinzog. Politische Macht war nun nicht mehr nur eine Frage der Familie und der Vererbung. Der Staat durchdrang die Gesellschaft während dieses Prozesses immer stärker.
Der Staat war aber schon immer ein Instrument der privilegierten Klassen (Klerus, Adel, Bürgertum), um die Gesellschaft zu beherrschen. Der Staat ist deswegen eine von der Gesellschaft getrennte Institution. Er lenkt und verwaltet die Gesellschaft von oben. Ein Element spielt bei dieser Trennung von Staat und Gesellschaft eine wesentliche Rolle: Die Bürokratie. Die Interessen der privilegierten Klassen hinter dem Staat geben ihm die Fähigkeit zur Selbsterhaltung und Selbstentwicklung: Der Staat muss sich an Veränderungen anpassen können, damit die gleichen Machtverhältnisse weiter bestehen können. Und diese Fähigkeit spiegelt sich in der Bildung einer bürokratischen Klasse wider. Um handlungsfähig zu sein, braucht ein Staat also Menschen, deren Interessen eng mit den Interessen des Staates, seiner Erhaltung und Entwicklung verbunden sind. Diese Menschen sind in ihrem beruflichen Handeln und Denken de facto selbst von der Gesellschaft getrennt, weil ihre Interessen mit denen des Staates übereinstimmen. Die Bürokratie ist mit der Staatslogik so stark verbunden, dass sie manchmal mit den Interessen der Kapitalist*innen in Konflikt gerät. Schlimmer noch: Wenn der Staat von den lohnabhängigen Klassen erobert wird, um die soziale und politische Realität umzugestalten, werden die Revolutionär*innen schnell zu einer neuen Bürokratie, die den Staatsinteressen dient. Anders gesagt: Nicht die Revolution erobert den Staat, sondern der Staat erobert die Revolution.
Dies ist ein zentraler Punkt. Der Staat ist kein neutrales Instrument, das von allen gleichermassen benützt werden kann. Der Staat ist ein Herrschaftsinstrument, er kann nur mit privilegierten Klassen funktionieren. Das liegt in seiner Natur. Jeder Versuch, den Staatsapparat als Mittel für eine soziale Umwälzung zu benützen, kann nur scheitern und wird zu neuer Herrschaft führen.
Die Bürokratie hat sich im modernen Staat zu einer politisch-bürokratischen Klasse weiterentwickelt. Bürokrat*innen und Politiker*innen sind zu einem perfekt aufeinander abgestimmten und untereinander austauschbaren Ganzen verschmolzen. Dies gilt für die gesamte politische Klasse, unabhängig davon, ob sie Teil von Militär, Polizei, Parteien oder sozialen Organisationen sind. Auch die am Staat orientierten Funktionär*innen der Zentralgewerkschaften (→ Arbeiter*innenbewegung und Gewerkschaften) sind an den Staat anschlussfähig und können von ihm vereinnahmt werden. Denn kurz gesagt: Sie handeln in der Logik des Staates.
Auch wenn der Staat das von der Gesellschaft getrennte Verwaltungszentrum ist, umfasst er nicht die gesamte Macht. Ein erheblicher Teil der Macht liegt bei den herrschenden Klassen selbst. Der Staat dient ihnen und verteidigt ihre Interessen zwar, sie können und wollen aber trotzdem eine gewisse Autonomie vom Staat bewahren. Dies ist aber nur möglich, weil die herrschenden Klassen ausserhalb der Gesellschaft stehen und deswegen nicht vollständig vom Staat erfasst werden. Die herrschenden Klassen erreichen dies, weil ihr politisches Handeln nicht auf den Staat und seine Logik ausgerichtet ist. Ihnen ist sogar völlig bewusst, dass sie dem Staat nicht gehorchen und seine Regeln nicht akzeptieren dürfen, um ihre Privilegien zu sichern respektive auszubauen.
Der Staat umfasst ausser dem harten Kern, wie Bürokratie und Polizei, auch einen weiteren Einflussbereich: Institutionen ausserhalb der formellen staatlichen Struktur, die eine staatliche Rolle spielen, wie zum Beispiel die zur SBB gehörende Transportpolizei. Und auch der Staat ist keine stabile Institution. Er ist in dem Widerspruch gefangen, ein Herrschaftsinstrument und gleichzeitig auch am Gemeinwohl orientiert zu sein. Der Staat ist sowohl die Schule als auch die Polizei. Er ist das Krankenhaus und das Gericht. Der Staat hat in seiner Fähigkeit zur Selbsterhaltung auch die Macht, sich sehr schnell von einem demokratischen Staat zu einer faschistischen Diktatur oder umgekehrt zu entwickeln, indem er den gesamten staatlichen Einflussbereich aufnehmen, verändern und neu erschaffen kann: Von den zaristischen Offizieren und Bürokraten, die in den Dienst der russischen Revolution traten, bis hin zu Beamt*innen republikanischer Verwaltungen, die in faschistische Verwaltungen wechseln. Dies muss uns als zusätzliche Warnung dienen: Mit dem Staat ist Fortschritt nie endgültig. Alles kann von heute auf morgen rückgängig gemacht werden. Der Staat bindet alles an sich, was in seiner Reichweite liegt.
Jedes Mal, wenn unterdrückte Klassen soziale und politische Fortschritte erzielt haben, geschah dies gegen den Staat und somit die Ordnung, die der Staat zum Nutzen der besitzenden Klassen aufrechterhält. Unsere Klassen erreichen sozialen Fortschritt durch die Direkte Aktion. Fortschritt kann nur unabhängig vom Staat erreicht werden. Unser gesamtes Handeln muss davon ausgehen, dass wir uns unabhängig vom Staat und seiner Logik organisieren. Diese Unabhängigkeit ist absolut grundlegend, denn wenn die Eroberung des Staates ein Ziel bleibt, selbst wenn es nicht das Hauptziel ist, bleibt der Staat immer der Dreh- und Angelpunkt aller Überlegungen. Und deswegen muss auch das politische Handeln mit dem Staat vereinbar sein – der Staat kann nicht gegen den Staat erobert werden.
Wir kämpfen nicht nur in aktivem Gegensatz zum Staat, damit wir vor der Staatslogik geschützt sind, es ist auch eine strategische und grundsätzliche Frage: Es geht für uns nicht nur darum, für die materielle Verbesserung der Lebensbedingungen unserer Klassen zu kämpfen. Es geht auch um einen Kampf für die Abschaffung von Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung. Es geht um den Aufbau einer Welt ohne den Staat, schlussendlich um die Zerstörung des Staates.
Eine staatenlose Gesellschaft, also eine Gesellschaft, die nicht von oben verwaltet wird, muss sich zwangsläufig selbst verwalten. Direkt, durch sich selbst. Direkte Demokratie und Selbstverwaltung bedeuten nicht, Vertreter*innen der Gesellschaft in eine von der Gesellschaft getrennten Verwaltung zu schicken. Das wäre bloss eine andere Form von Staat. Die Selbstverwaltung muss innerhalb der Gesellschaft selbst stattfinden.
In aktivem Gegensatz zum Staat zu kämpfen, bedeutet auch, innerhalb der Gesellschaft selbst zu kämpfen. Durch Aktion und Organisation in Kämpfen erschaffen wir soziale Stärke und lernen, wie wir die Gesellschaft verändern können. Aktion und Organisation eröffnen aber auch die Möglichkeit für Volksmacht (Poder Popular), also zur Gegenmacht der lohnabhängigen Klassen. Dies ist der Schlüssel zur Zerstörung des Staates. Der Staat wird durch Demontage zerstört. Sich die Vorrechte des Staates anzueignen, seine Kompetenzen zu beschlagnahmen und immer grössere Bereiche selbst zu verwalten – so bauen die Unterdrückten eine neue Welt auf, eine Welt ohne Staat.
Parlamentarismus
Die meisten Menschen in der Schweiz glauben, dass die Gesellschaft nur über Parteien und Parlamente verändert werden kann. Wer sich politisch beteiligt, tut dies meistens innerhalb einer Partei oder eines Initiativ- oder Referendumskomitees. Dies sind Formen des Parlamentarismus, also des parlamentarischen, institutionellen Weges. Dahinter steckt die Idee, dass grundlegende gesellschaftliche Verbesserungen erreicht werden können, wenn genügend Sitze im Parlament gewonnen werden. Dies ist unserer Meinung nach nicht möglich, da auf der einen Seite die Regeln des Parlaments die Parteien dazu zwingen, «Mehrheiten zu schaffen» und somit faule Kompromisse mit politischen Gegner*innen zu schliessen. Auf der anderen Seite braucht es auf dem Weg zur parlamentarischen Mehrheit viel Geld, Beziehungen und (unbezahlte) Arbeitsstunden, welche die lohnabhängigen Klassen nur unter grossem Aufwand aufbringen kann. Dasselbe gilt für die direktdemokratischen Instrumente der Schweiz, also Initiativen und Referenden: Jede Initiative und jedes Referendum brauch enorme Geldsummen, um die nötigen Unterschriften zu sammeln. Dann braucht es Parlamentarier*innen oder Lobbyist*innen, welche Druck aufbauen, damit die Vorlage schnell einen Abstimmungstermin bekommt und zu guter Letzt braucht es enorme Mengen Geld für die Werbung im Abstimmungskampf.
Dieser Aufwand ist aber komplett vergebens, da ein Staat stets nur als Ausdruck der tatsächlichen Kräfteverhältnisse einer Gesellschaft existieren kann (→ Staat). Auch linke Regierungen müssen den Regeln folgen, also zum Beispiel Spardiktate einhalten, um einen Staatsbankrott abzuwehren. Die politischen Parteien sorgen dafür, dass das Funktionieren von Staat und Wirtschaft den immer wieder entstehenden Krisen angepasst werden, damit die Wirtschaft weiterwursteln kann wie bisher.
Die Anliegen von kleineren und/oder weniger (einfluss-)reichen Gesellschaftsgruppen spielen deswegen im Parlament kaum je eine Rolle. Dazu gehören auch diejenigen Gruppen, die in der Vergangenheit oder auch heute noch, aus dem parlamentarischen Prozess ausgeschlossen wurden und werden. Zum Beispiel ist das ein ungefähres Viertel der schweizerischen Bevölkerung, welches sich nicht an allen politischen Entscheidungen beteiligen kann, weil es nicht die schweizerische Staatsbürgerschaft hat. Dass Politik von und für Mächtige gemacht wird, führt aber selten zu grösseren ausser- und antiparlamentarischen sozialen Bewegungen. Stattdessen wechseln die Wähler*innen von einer Partei zur anderen, flüchten in die Passivität oder wenden sich rückwärtsgewandten und autoritären Ideen zu.
Vom Parlament geht eine grosse Gefahr für soziale Bewegung aus: Bewegungen organisieren sich meistens um ein konkretes Problem, das sie gelöst haben wollen. Bietet das Parlament dann eine teilweise oder/und scheinbare Lösung an, kann dies die soziale Bewegung sabotieren. Diejenigen, die von der angebotenen Lösung zu profitieren glauben, werden es sich nämlich gut überlegen, ob sie weiterhin ihre kostbare Freizeit und Energie in die Bewegung stecken. Aber auch wenn wir den Parlamentarismus ablehnen, ist es wichtig zu wissen, was in den Parlamenten passiert. Denn die dort getroffenen Entscheidungen haben immer Auswirkungen auf unser Leben, zum Beispiel wenn Arbeitslosengeld und Prämienverbilligungen gekürzt oder wenn Bussen und Gefängnisstrafen erhöht werden.
Da die parlamentarische Demokratie das Wirtschaftswachstum und die Zufriedenheit des grössten Teils der Bevölkerung nicht dauerhaft unter einen Hut bringen kann, nehmen wir sie nicht als dauerhaft stabil war. Wenn eine Krise der Demokratie entsteht, gibt es zwei Auswege: Autoritarismus, zum Beispiel Faschismus, oder eine Ausweitung von Selbstverwaltung und Selbstbestimmung. Im Hier und Jetzt ist es wahrscheinlicher, dass die Besitzenden in Krisenzeiten auf faschistische Bewegungen und Parteien setzen, da sie sich von diesen einen gewissen Schutz ihres Status erhoffen. Der Faschismus ist dabei aber keine Marionette oder eine Maske des Kapitals. Er ist eine eigene Bewegung mit einer Strategie der parallelen Mobilisierung der Massen und des Kapitals. Dies muss uns bewusst sein und wir müssen uns auf die Gefahr eines starken, eventuell staatsdominierenden Neofaschismus vorbereiten.
Nationalismus
Nation als Begriff kommt ursprünglich aus dem lateinischen nātio und steht für Volk, Sippschaft, Menschenschlag, aber auch Gattung, Klasse, Schar und Geburt. Es bezeichnet grössere Gruppen von Personen, denen gemeinsame Sprache,Tradition, Sitten, Bräuche und Abstammung zugeschrieben werden. Im 19. Jahrhundert wurden bürgerliche Staaten geschaffen, die ihre Legitimität nicht mehr in der Abstammungslinie einer Herrschaftsfamilie finden konnten. Die Legitimität wurde jetzt von einer Nation abgeleitet (→ Staat). Dieser Nation sollte eine Heimstätte gegeben werden: Der Nationalstaat. Das Konzept Nationalstaat sagt aus, dass in einem Land nur eine Nation ansässig ist und jede Nation ihren eigenen Staat haben soll. Der Gedanke, dass eine Nation besser als eine andere ist, entsteht von da schnell und entspricht dem Kern des Nationalismus. Wo eine Nation beginnt und wo eine andere aufhört, ist aber überhaupt nicht einfach und deutlich. Deshalb wurden nationalistische Mythen als vereinendes Element geschaffen. Gemeinsamkeiten werden betont und Unterschiede aktiv unterdrückt. So konnten zum Beispiel Fries*innen und Bayer*innen überhaupt Teile der gleichen Nation werden. Dazu wurden Kultur, Sprache und Tradition vereinheitlicht, also eine Leitkultur konstruiert. Ein Beispiel dafür ist die Erschaffung einer zentralen Hoch- respektive Schriftsprache und der Abwertung der lokalen Sprachen und Dialekte. Diese wurden als rückständig, kleingeistig, verfälscht, bäuerisch und dumm angesehen. Diese Einheit war nicht schon immer da. Im Gegenteil; sie wurde durch den Staat erzwungen.
Staat und Nation werden fälschlicherweise häufig als das Gleiche angesehen. Hier ist zu unterscheiden, dass der Staat, salopp ausgedrückt, die Administration eines Landes übernimmt und die Nation eher die Idee ist, warum ein Staat denn legitim sei und was ihn ausmache. So werden historische Ereignisse zu einer gemeinsamen Geschichte einer Nation geformt, glorreiche Taten der «Ahnen» der Nation werden hochstilisiert, Ereignisse, die dieser Erzählung widersprechen, werden ausgeblendet. Es spielt ebenso keine Rolle, ob diese Ereignisse fiktiv oder real sind. Darin ist die Schweiz mit der Geschichte des Nationalhelden Wilhelm Tell keine Ausnahme. Der Prozess, der beschreibt, wie ein solches Ideenkonstrukt entsteht, wird Nationenbildung genannt. In diesem Prozess werden gemeinsame kulturelle Standards von den Machtzentren aus konstruiert und durchgedrückt. Diese Standarte führen zu einem Leitbild, wie ein Mensch in einem bestimmten nationalstaatlichen Konstrukt sein soll. Es wird also eine kollektive Identität geschaffen, eine Leitkultur. So werden Volkseigenschaften, wie z.B.: «die Schweizer*innen sind pünktliche und fleissige Menschen», gebildet. Dies ist veränderbar, je nachdem in welche Richtung ein gesellschaftlicher Diskurs geht.
Die Individualität der Menschen wird durch eine Einheitsidentität ausgeblendet. Nationale Identität beruht auf Ein- und Ausschluss von Menschen. Der Mensch wird durch Zwang in eine homogene Masse integriert. So sprachen z.B. in den 1870ern 80% der Französ*innen im Alltag eine andere Sprache als Französisch. Viele sprachen überhaupt nicht Französisch, sondern etwa okzitanisch, bretonisch oder frankoprovenzalisch. Somit werden im Prozess der Nationenbildung Teile der Individualität eines Menschen ausgelöscht, wie auch die soziale Position ausgeblendet. Beim Ausschluss von Menschen wird ebenso willkürlich voneinander getrennt, wenn gesagt wird, dass die «Fremden» ganz anders und nicht so wie «wir» seien. Dies führt dazu, Staatsgrenzen als etwas Gutes und «Natürliches» zu akzeptieren, da auf der anderen Seite ja die «Fremden» wohnen würden. Doch sind diese «Anderen» wirklich anders? Die Lebensrealitäten von zwei lohnabhängigen Menschen, die in unterschiedlichen Staaten leben, sind ähnlicher als die Lebensrealitäten zwischen einer Lohnabhängigen und eines Kapitalisten, die in der Schweiz leben (→ Klassen). Die nationale Identität ist ein sehr effektives Werkzeug, um diese Klassengegensätze zu verschleiern.
Deshalb lehnen wir Nationalismus ab, anerkennen aber gleichzeitig das Selbstbestimmungsrecht aller Menschengruppen. Denn keine Sprache, Schrift oder Kultur darf unterdrückt werden. Wir sind bereit, mit allen Menschen gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen, beharren gleichzeitig aber gegenüber allen Menschen auf unseren Grundwerten: Unterdrückungsformen sollen überall und immer bekämpft werden.
Kurze Analyse des kapitalistischen Wirtschaftssystems
Wir befinden uns in einer Welt, die fast komplett durch ein einziges Wirtschaftssystem verbunden wird: Dem Kapitalismus. Alle Waren und Dienstleistungen aus Betrieben werden nach kapitalistischen Prinzipien erarbeitet und vertrieben. Sich dem zu entziehen, ist so gut wie unmöglich, denn es müsste alles, was verbraucht wird, selbst hergestellt werden (Medizin, Transportmittel, Unterhaltungsmedien, Kommunikationsmittel, etc.). Es ist deswegen äusserst wichtig, dass wir verstehen, wie dieses Wirtschaftssystem funktioniert und welche Probleme es mit sich bringt.
Was ist Wirtschaft? Das ist die gesamte Produktion aller Güter und Dienstleistungen sowie deren Verteilung und Verbrauch. Wirtschaft ist der Anbau von Gemüse, dessen Ernte, Lagerung und Transport, dessen Verkauf im Supermarkt (oder Hofladen) und die Gemüsepfanne, die du daraus kochst. Wie das Gemüse angebaut wird, wie und an wen es verteilt wird und zu welchen Bedingungen all dies geschieht, das ist das Wirtschaftssystem.
Das Wirtschaftssystem Kapitalismus heisst so, weil die Anhäufung und Investition von Geldmitteln, also Kapital, das Fundament bildet. Das Kapital soll investiert werden und einen Gewinn abwerfen, damit es wieder investiert werden kann. Dass Gewinn gemacht werden muss, liegt aber nicht an Gier oder Charakterschwäche, sondern daran, dass Kapital nicht einfach für alle da ist. Aufgrund der Konkurrenz zwischen den Kapitalist*innen und der damit verbundenen günstigeren Produktion, der Unterbietung des Preises der Konkurrenz, bis ein Monopol hergestellt wird, müssen die Kapitalist*innen immer weiter investieren. Somit ergibt sich ein Investitionswettbewerb, welcher sich in einen Wachstumszwang der gesamten Wirtschaft äussert, um die Profite zu sichern.
Handel benötigt eine gewisse Sicherheit; du tauschst nicht mit jemandem Gemüse, wenn diese Person sich immer mit deinen Kartoffeln davon macht, ohne dir etwas von ihren Tomaten zu geben. Um diese Sicherheit zu gewährleisten, braucht der Kapitalismus zwei Dinge: Das Privateigentum und jemanden, der dieses Privateigentum schützt: Der Staat (→ Staat).
Wenn nun das investierte Kapital immer mehr werden muss, dann sammelt sich auch immer mehr bei denen an, die investieren können. Diejenigen, die Kapital haben, nennen wir Kapitalist*innen. Sie besitzen die Güter und die Mittel, um etwas herzustellen – von Boden, über Gebäude und Maschinen bis zu den Rohstoffen, aus denen etwas hergestellt werden kann. All diese Dinge zusammen nennen wir Produktionsmittel. Wer Produktionsmittel hat, kann Arbeiter*innen anstellen, die gegen Lohn Produkte herstellen. Die Arbeiter*innen sind idealerweise – aus der Sicht der Kapitalist*innen – doppelt frei: Frei von Produktionsmitteln und Kapital (sie müssen also einen Lohn bekommen, um zu überleben) und sind frei, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Diese Arbeiter*innen sind also lohnabhängig und damit den Kapitalist*innen ausgeliefert. Sie müssen miteinander um Arbeitsstellen konkurrenzieren. Wenn dieser Konkurrenzkampf gross ist, sinken die Löhne. Während die Lohnabhängigen so hohe Löhne wie möglich wollen, möchten die Kapitalist*innen so tiefe Löhne wie möglich bezahlen, damit sie (höhere) Gewinne einfahren können. Dies ist ein unüberwindbarer Gegensatz im Kapitalismus (→ Klassen).
Die Lohnabhängigen erhalten nur einen kleinen Teil des von ihnen hergestellten Werts als Lohn. Die Differenz zwischen Einnahmen einerseits und Löhnen und Herstellungskosten andererseits ist der Mehrwert. Also das, was die Kapitalist*innen als Belohnung für ihre Investition behalten – als Profit, Aktiendividenden und Zinsen. Dies führt zu einer komischen Lage. Die Mehrheit der Menschen produziert als Lohnabhängige den materiellen Reichtum der Gesellschaft, der Gegenwert dieses materiellen Reichtums bleibt aber bei den kleinen Klassen der Kapitalist*innen.
Produktion und Konsum werden im Kapitalismus über den Markt gesteuert. Das heisst nicht nur die Lohnabhängigen, sondern auch die Unternehmen stehen in Konkurrenz zueinander. Das Kapital muss Profit erwirtschaften, es muss sich verwerten, um auf dem Markt bestehen zu können. Das bedeutet wiederum, dass die Unternehmen einen Teil ihres Gewinns wieder investieren müssen, um ihre Marktanteile zu verteidigen, auszubauen oder neue zu erschliessen. Oder anders gesagt: Um der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein. Dies kann verschiedene Formen annehmen wie z.B. neue Konsument*innengruppen erschliessen, (vermeintlich) bessere Produkte anbieten, günstiger produzieren dank günstigeren Produktionstechniken oder durch gesenkte Standort- oder Lohnkosten, Konkurrenzunternehmen aufkaufen oder mit diesen fusionieren. Die beste Taktik für ein Unternehmen, den eigenen Platz zu sichern, ist, wenn es kein anderes Unternehmen gibt, das mithalten kann. Mit anderen Worten: Ein marktbeherrschendes Monopol zu schaffen. Deswegen tendiert der Kapitalismus stets in Richtung Monopole.
In diesem Wirtschaftssystem geht es also nicht zuerst um die Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln, Gütern und Dienstleistungen, sondern um einen möglichst hohen Profit. Deswegen wird jeder Gegenstand, jede Dienstleistung und auch jeder Mensch auf den möglichen Gewinn untersucht. Dies führt natürlich auch dazu, dass wir uns zu fragen beginnen, ob wir mehr aus uns herausholen können: Weiterbildungen besuchen, Sprachen lernen, Sport machen – unsere Gesellschaft macht dies zunehmend mit dem Ziel der Verbesserung, der Optimierung, und nicht (nur), weil es Freude bereitet oder dem Austausch mit anderen Menschen dient.
Die Ausrichtung auf einen möglichst hohen Profit macht es trotz aller Technologie schwierig, den Hunger zu bekämpfen oder Umweltzerstörung zu verhindern (→ ökologische Krise). Auch wenn Umweltgesetze eingeführt werden: Solange es Schlupflöcher gibt oder sich die Umgehung der Gesetze für die Firmen lohnt, wird es gemacht werden. Der Zwang zum Profit und damit zum Wachstum ist ein Kernmechanismus dieses Wirtschaftssystems, deswegen müssen sowohl Rohstoffe als auch Energie so günstig wie möglich sein.
Der Wachstums- und Profitzwang dieses Wirtschaftssystems hat zwar technologische Neuerungen in einem nie dagewesenen Tempo ermöglicht (von Muskelkraft über Dampf- und Verbrennungsmotor zu Elektronik), aber die negativen Folgen sind enorm: Armut, Zerstörung menschlicher Gemeinschaften, der Umwelt, des Klimas und sogar Kriege. Dies kann nicht als Folge beispielsweise einer fehlenden Moral betrachtet werden, sondern ist die Folge der Logik des kapitalistischen Wirtschaftssystems.
Rassismus und Fremdenhass
Menschen bewerten Menschengruppen seit schriftliche Zeugnisse existieren. Gewisse Menschengruppen wurden geringer bewertet oder ihnen negative Eigenschaften zugeschrieben. Sklaverei ist ebenso lange dokumentiert, allerdingswaren Zugehörigkeiten durchlässiger: Im antiken Rom etwa konnten es Sklav*innen durchaus zu Reichtum und höherem Status bringen – und sie konnten befreit werden und waren dann von römischen Bürger*innen nicht zu unterscheiden. Sklaverei war vielfach auch keine einseitige Angelegenheit: Im Mittelmeer zum Beispiel versklavten sowohl nordafrikanische Korsar*innen Europäer*innen, als auch Europäer*innen Nordafrikaner*innen. Sklaverei istdenn auch keineswegs ein rein europäisches Phänomen, verschiedene Systeme von Sklaverei gab es auf allen Kontinenten: Im vormodernen China zum Beispiel war Sklaverei weit verbreitet, aber durch einen Vertrag definiert und meistens nicht lebenslänglich. In Mauretanien ist die Sklaverei trotz nominellen Verboten bis heute weit verbreitet.
In Europa brachte die Aufklärung paradoxerweise eine Verschlimmerung: Sklaverei wurde jetzt als moralisch schlecht und nicht mehr als neutrale, «natürliche» Gegebenheit angesehen und musste deswegen legitimiert werden. Nicht-europäischen Menschen wurden deswegen ihr Menschsein abgesprochen, um Massenmord, Sklaverei und Ausbeutungzu rechtfertigen. Aber auch die Religion blieb als Rechtfertigung wichtig: (Zwangs-)Missionierte konnten laut damaligem Glauben Erlösung finden, Nicht- oder Falsch-Gläubige hingegen nicht. Der europäische Kolonialismusplünderte ganze Kontinente und verschleppte, entrechtete und ermordete Millionen von Menschen. Die herrschenden Klassen der europäischen Mächte konnten durch die Ausbeutung von Territorien, Ressourcen und Menschen enormeProfite anhäufen. Dieses Kapital stellte eine wichtige Basis für die industrielle Revolution und ermöglichte eine wirtschaftliche Dominanz europäischer Mächte bis ins 20. Jahrhundert (→ Kapitalismus).
Moderner Rassismus ist eine Erfindung des 18. und 19. Jahrhunderts. Es ist ein haarsträubender Versuch, den Vorurteilen eine pseudonaturwissenschaftliche Grundlage zu geben. Die Unwissenschaftlichkeit der Theorien zeigt sich bereits in der Uneinigkeit über die angeblich messerscharfen Grenzen zwischen den Menschengruppen, die teils ganzunterschiedlich eingeordnet und bewertet wurden. Die Rassentheorien sollten rechtfertigen, dass Menschen einen unterschiedlichen Wert zugeschrieben wird: Die weissen Menschen seien demnach entwickelt, zivilisiert, fortschrittlich,mündig. Alle anderen, z. B. Indigene, seien unterentwickelt, unzivilisiert, traditionell, unmündig.
Durch die Verbote der Sklaverei im 19. und 20. Jahrhundert und der Ausweitung kapitalistischer Strukturen mit der Industrialisierung hat sich auch die Funktionsweise von Rassismus weiterentwickelt. Einerseits kann damit versuchtwerden die Einheit der unterdrückten Klassen zu verhindern (→ Klassen), andererseits kann durch die Konstruktion vonanscheinend klar voneinander abgetrennten und in sich homogenen Völkern eine Legitimation für einen Nationalstaat geformt werden (→ Nationalismus).
Nach dem 2. Weltkrieg entstand eine neue Form des Rassismus, der kulturelle Rassismus. Denn die Kategorie «Rasse» war nach der Shoah, der Vernichtung der europäischen Jüd*innen, in Europa nicht mehr tragbar. Es fand eine Verschiebung zum Begriff «Kultur» statt. Beim kulturellen Rassismus wird nicht mehr von biologischen «Rassen» ausgegangen. Stattdessen werden gesellschaftliche Gruppen gebildet, denen aufgrund von Sprache, Religion oder Lebensstil eine gemeinsame «Kultur» oder «Mentalität» zugeschrieben wird. Wie beim biologistischen Rassismus gibt es eine Hierarchie von Höher- und Minderwertigkeit zwischen den «Kulturen», die nicht miteinander vereinbar seien. Das zeigt sich zum Beispiel beim antimuslimischen Rassismus: Es wird eine «islamische Kultur» konstruiert, die patriarchal, rückständig, gewalttätig und nicht mit einer «christlichen Kultur» vereinbar sein könne. Darum sei alles Islamische eine Bedrohung, was zur Rechtfertigung von Kriegen (Afghanistan), rassistischen Gesetzen (Minarettverbot) und Kleidervorschriften (Verbot von Kopftüchern) genutzt wird.
Wie oben angetönt ist Rassismus oft mit Nationalismus verknüpft und nicht nur mit (post-)kolonialen Ideen. Das heisst Rassismus existiert in mehr als einer Form und kommt in allen Teilen der Welt vor, etwa in systematischer Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen aus Simbabwe in Südafrika, der muslimischen Rohingya durch die buddhistischen Bamar, der Afroamerikaner*innen durch Indoamerikaner*innen. Dieses Wissen ist nötig für eine akkurate Analyse, darf aber auf keinen Fall in Whataboutismus enden.
Fremdenhass
Es ist möglich Fremde auszugrenzen, ohne dass dies rassistisch ist. Wir sprechen in diesem Fall von Fremdenhass. Unter Fremdenhass verstehen wir die starke Ablehnung von Personen aufgrund einer subjektiv empfundenen Fremdheit. Fremdenhass kann losgelöst von biologischem Rassismus und (konstruierten) andersartigen Äusserlichkeiten funktionieren. Dem Rassismus gemeinsam ist die Konstruktion von Zugehörigkeit gegen innen und die Ablehnung des Anderen, des Fremden.
Der Fremdenhass ist in der Schweiz tief verankert und existiert neben dem Rassismus. Das beste Beispiel ist wie schon genannt die Ablehnung deutscher Immigrant*innen. Aber auch antiitalienische Ressentiments fallen darunter und die Ablehnung gegenüber Migrant*innen aus dem Balkan. Das bis 2002 bestehende Saisonnier-Statut ist ebenfalls kein rassistisches Gesetz, da es sich primär gegen eine saisonal importierte Arbeiter*innenklasse richtete, die aufgrund von Kontingentsverträgen nur aus spezifischen Ländern aus dem nördlichen Mittelmeerraum kommen konnte (Italien, Spanien, Türkei, Jugoslawien, Portugal).
Im Gegensatz zum Rassismus dessen Hierarchien und Abwertungen oft sehr beständig sind (auch wenn sich die Argumentationen ändern) ist Fremdenhass sehr unbeständig und sehr gut darin ganze Komplexe von Vorurteilen einer neuen Gruppe überzustülpen: Hiess es in der Schweiz lange, dass Italiener faul sind, den Schweizern die Frauen wegnehmen, gewalttätig, auffällig sind und komisch riechen, wurde später diese ganze Sammlung von negativen Bewertungen an Migrant*innen aus Spanien, dann der Türkei, Tamil Eelam und (Ex-)Jugoslawien weitergeben. Die alten «Fremden» wurden im Laufe der Zeit Teil der Mehrheitsgesellschaft ihre Bräuche und Kultur (wie z. B. die Küche) teilweise ins «Eigene» aufgenommen. Sie stiegen in der Gesellschaft auf und waren nicht mehr «nur» entwurzelte Bauarbeiter*innen, Kellner*innen und Köch*innen, sondern wurden (oder zumindest die zweite oder dritte Generation) Kondukteur*innen, (Nati-)Fussballer*innen und Polizist*innen. Die Anstellungschancen mit italienischem Nachnamen stiegen, als die spanischen Namen die neuen Fremden wurden – und deren Chancen stiegen, als die Tamil*innen den schlechten Ruf abbekamen und so weiter. Das Vorurteilspaket ist beständig, aber nicht die damit gemeinte Gruppe. Aktuell sieht es nicht so aus, als würde dieses schnell weitergegeben werden können, da damit zwei Gruppen bedacht werden, bei denen zum Fremdenhass auch noch Rassismus gesellt: Menschen aus dem Maghreb und Westafrika.
Hin zu einer antirassistischen Gesellschaft
Rassismus wird oft ein moralischer Antirassismus entgegengesetzt: Man lehnt die SVP, Nazis und Stammtischparolen ab und sieht sich als Antirassist*in. Doch Antirassismus heisst mehr, als sich gegen rechts zu positionieren. Es geht darum, kollektiv, reflektiert und verantwortungsvoll antirassistisch zu handeln. Dafür müssen eigene und kollektive Denk- und Verhaltensmuster bearbeitet und durchbrochen werden.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Unterstützung und Stärkung der Selbstorganisation der von Rassismus und Fremdenhass betroffenen Menschen. Ihre Autonomie ist unverhandelbar und im Kampf gegen den Rassismus zentral. Gleichzeitig heisst das nicht, dass man keine (solidarische) Kritik äussern darf, nur weil jemand (mehr) von Rassismus betroffen ist. Wir sehen Antirassismus als Teil des Klassenkampfes hin zu einer befreiten Gesellschaft. In sozialen Kämpfen können Brücken geschlagen und Spaltungen überwunden werden. Sei es im Quartier, Betrieb oder in sozialen Bewegungen. So kann Solidarität und Einheit zwischen Ausgebeuteten und Unterdrückten entstehen und Bruchlinien gekittet werden, bevor sie von Staat und herrschenden Klassen ausgenutzt werden können.
Wir sind uns auch bewusst, dass klar voneinander abgrenzbare Völker Konstruktionen sind. Bevölkerungen haben sich auch zu Zeiten der schärfsten Rassentrennungsgesetze vermischt und Gedanken und kulturelle Praktiken regen andere an. Die Zuschreibung von gewissen Ideen und kulturelle Praktiken auf eine ganz bestimmte Gruppe, aber nicht auf deren Nachbar*innen, ist meistens unmöglich. Solche Zuschreibungen, auch wenn sie gut gemeint sind, verstärken unter Umständen sogar das Denken, dass Menschen in scharf voneinander getrennte Gruppen sortierbar sind und deren Handeln aufgrund dieser Zuschreibung gut oder schlecht ist.
Unsere politische Praxis ist in den sozialen Bewegungen der unterdrückten Klassen. In diesen ist auch Rassismus präsent. Als Teil der sozialen Bewegungen verstehen wir unsere antirassistische Arbeit darin, Rassismus und Fremdenhass sichtbar zu machen und zurückzudrängen. Dies kann in Form von Bildungsarbeit, der praktischen Solidarität mit diskriminierten Menschen oder der Förderung von Zusammenarbeit mit antirassistischen Bewegungen geschehen. Rassismus macht auch vor anarchistischen und feministischen Organisationen keinen Halt. Darum setzten wir in unserer politischen Organisation auf kollektives, antirassistisches Handeln. Das heisst, Rassismus und Fremdenhass in der Organisation aktiv zu bekämpfen.
Technik und Technologie
Technik ist weder gut noch schlecht. Sie ist kein Monopol der Menschen und eine Form von Technik gibt es wahrscheinlich seit der Entstehung von Leben – Technik ist Teil der natürlichen Evolution. Für uns ist Technik am einfachsten im Tierreich und dort besonders beim Menschen zu erkennen. Wahrscheinlich greifen aber die meisten Arten auf eine Form von Technik zurück: Zum Beispiel die Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen. Bei Schimpansen lassen sich diesbezüglich sogar kulturelle Unterschiede beobachten. Geier nutzen die Umwelt zum eigenen Vorteil, in dem die Knochen aus grosser Höhe auf ausgewählte spitze Steine fallen lassen, um an das Mark zu kommen. Stachelkopfgräser (Spinifex) in Australien entwickelten Strategien zur Selbstverteidigung gegen andere Arten: Sie reichern Harz an, das sich in der Hitze leicht entzündet. Nach dem Buschbrand wachsen sie schnell nach und können so andere Pflanzen verdrängen.
Es ist also nicht möglich, Technik als ein rein menschliches und von der Natur losgelöstes Phänomen zu betrachten. Die Natur selbst kann weder gut noch böse sein, da sie als Gesamtes keine Absichten verfolgt. Natur ist das Vorhandensein von Leben – sie existiert einfach. Deswegen ist es auch nicht möglich, zwischen guter Natur und schlechter Technik zu unterscheiden. Technik ist also eine gezielte Handlung mittels Hilfsmittel und Strategien. Technologie hingegen ist die Wissenschaft der Technik und der Entwicklung von Techniken. Nach diesen philosophischen Überlegungen ist es für uns jedoch notwendig, die menschliche Technik und Technologie im Rahmen unserer Realität, also der kapitalistischen Gesellschaft, zu betrachten.
Während die meisten Arten Technik nutzen, um das Überleben zu sichern, wird sie in der kapitalistischen Gesellschaft von den herrschenden Klassen genutzt, um Reichtum und Macht anzuhäufen (→ Kapitalismus). Das bedeutet aber nicht, dass in der kapitalistischen Gesellschaft entwickelte Techniken nur deren Interessen dient. Sie kann auch den lohnabhängigen Klassen reale Vorteile bringen: Beispiele dafür gibt es in der Medizin oder bei Hilfsmitteln, wie Rollstühlen, die die Selbstständigkeit von Menschen mit Behinderungen ermöglichen.
Allerdings werden technologische Fortschritte nicht auf alle Teile der lohnabhängigen Klassen gleich verteilt (→ Klassen). Diese ungleiche Verteilung hat mehrere Gründe: Erfolge sozialer Kämpfe, Machtverhältnisse zwischen Teilen der herrschenden und lohnabhängigen Klassen, die zu einem – in heutiger Zeit instabilen – sozialen Kompromiss und Kolonialismus respektive Imperialismus führen. Nicht nur haben die unterdrückten Klassen ganzer Regionen keinen Zugang zu gewissen Techniken, sondern diese Techniken werden gegen sie angewendet – etwa, um den natürlichen Reichtum ihrer Regionen zu stehlen oder um sie zu beherrschen. Trotzdem sind sie oft an der Entwicklung von Technologien beteiligt. Einschliesslich solcher, die unserer Klasse hier Vorteile bringen.
Die lohnabhängigen Klassen in anderen Regionen sind nicht schlechter gestellt, weil sie keine oder weniger erfolgreiche Kämpfe führen, sondern weil die Klasse der Kapitalist*innen, dank (Neo-)Kolonialismus und Imperialismus unendlich viel brutaler in der Ausbeutung und Beherrschung dieser Menschen vorgehen kann. Dies ist im Zusammenhang von Technologie wichtig, denn die Dominanz, ja das Monopol, der herrschenden Klassen über die Technologie ermöglicht erst die weltumspannende Unterdrückung. Solidarität über Landesgrenzen hinweg ist deswegen absolut notwendig, um die Menschheit vollständig zu befreien.
Die technologische Entwicklung wird nicht durch unsere Klasse bestimmt, obwohl wir es sind, die produzieren. Während wir eine grosse durch die herrschenden Klassen verursachte Umweltkrise erleben, versucht der Kapitalismus, technische Lösungen zur Bewältigung dieser Krise durchzusetzen (→ ökologische Krise). Wir müssen uns bewusst sein, dass so keine Antwort auf die Klimakrise gefunden werden kann, die den lohnabhängigen Klassen, also der Mehrheit der Menschheit, zugutekommt. Denn die kapitalistische Klasse möchte so spät wie möglich eingreifen und nur so wenig retten, wie für die Aufrechterhaltung von Ausbeutung und Herrschaft notwendig ist. Um ein etwas dystopisches Beispiel zu nehmen: Der Kapitalismus geht nicht zugrunde, wenn nur ein paar hundert Millionen Menschen in einer Bunkerwelt unter der Erdoberfläche überleben. Dieses Szenario schreckt daher die radikalsten und zynischsten Teile der herrschenden Klasse nicht ab.
Technologie wird deshalb vor allem entlang von zwei Achsen entwickelt: Die erste ist die hauptsächlich ideologische Entwicklung eines grünen Tech-Kapitalismus, der, sobald die unsichtbare Hand des Marktes gezaubert habe, nach und nach den fossilen Kapitalismus ablösen solle. Das zweite, sehr materielle Ziel ist die weitere technologische Beschleunigung der Anhäufung von Kapital und Ausbeutung. Dieselben Techniken könnten natürlich auch eingesetzt werden, um die menschliche Wirtschaft bei der Verwaltung von Ressourcen zu unterstützen, ganze Regionen zu entgiften und die Produktion und Verteilung entsprechend den Bedürfnissen zu rationalisieren.
Dass die Entwicklung von Technologien nicht entlang von Bedürfnissen der Gesellschaft, sondern denen des Kapitals erfolgt, zeigt das Beispiel des mobilen Internets: Der heutige Entwicklungsstand könnte bereits viele Herausforderungen bewältigen, vor denen eine bedürfnisorientierte Wirtschaft inmitten der Klimakrise stehen würde. Da die kapitalistische Wirtschaft aber unter ständigem Druck steht, gesättigte Märkte durch neu geschaffene Bedürfnisse auszugleichen, wird eine neue Technologiestufe mobilen Internets eingeführt, die noch mehr Ressourcen benötigt und noch umweltschädlicher ist. Für die nächste Technologiestufe müssen tausende Satelliten in die Umlaufbahn gebracht und noch mehr Rohstoffe und Strom verbraucht werden.
Wir müssen unseren Kampf daher auf die Fragen der gesellschaftlichen Nützlichkeit von Technologien, auf deren Produktion und Verteilung ausrichten. Die Kampforganisationen der lohnabhängigen Klassen müssen klären, worin der gesellschaftliche Nutzen von (materiellen oder immateriellen) Produkten besteht, wobei sie die Falle einer moralistischen Romantik (also Konsumkritik) vermeiden müssen (→ Arbeiter*innenbewegung und Gewerkschaften). Und kämpfen, um neue Produktions- und Verteilungsprozesse durchzusetzen.
Es ist auch nötig, die Technologie zu demokratisieren. Wir befinden uns nicht nur in einer Situation, in der die herrschenden Klassen die technologische Ausrichtung unserer Gesellschaft kontrollieren, sondern auch in einer Situation, in der das technische Verständnis einer gebildeten Elite vorbehalten ist. Sicherlich, je komplexer eine Technik ist, desto mehr ist ihre Nutzung einer kleinen Gruppe von Menschen vorbehalten, die über das notwendige Wissen verfügen. Doch auch wenn technisches Wissen heute häufig in Herrschaft mündet, muss dies in einer befreiten Gesellschaft nicht zwangsläufig so sein.
Der Weg zu einer sozialistischen und libertären Nutzung von Technik und damit auch zum Schutz unserer Umwelt führt über den Aufbau starker und demokratischer Kampforganisationen, die alle Aspekte der sozialen Realität erfassen und berücksichtigen.