Warum ist die spezifisch anarchistische Organisation nützlich? Mit welchen Aufgaben sollte sie sich befassen? Unterscheiden sich diese Aufgaben innerhalb und ausserhalb der Organisation? Diese Fragen stellen sich jeder ernsthaften Gruppe revolutionärer Anarchist*innen, wenn sie sich darauf vorbereiten, den Sprung von individueller Isolation zu kollektivem Kampf zu machen. Viele Organisationen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart, haben Dokumente erstellt, die ihre Funktionen und Ziele innerhalb eines revolutionären Prozesses beschreiben. Hier werden wir ein solches Dokument vorstellen, das von der in den USA ansässigen Black Rose Anarchist Federation/Federación Anarquista Rosa Negra (BRRN) erstellt und verwendet wird.
Die spezifisch anarchistische Organisation (im Folgenden SAO abgekürzt) strebt danach, zur theoretischen und praktischen Entwicklung der sozialen Kämpfe beizutragen. Sie erreicht dies durch mehrere Mittel:
- Als Gefäss eines historischen Gedächtnisses, das die Erfolge und Misserfolge von Strategien und Taktiken sozialer Bewegungen aufzeichnet.
- Durch die Teilnahme an Massenkämpfen als gleichberechtigter Partnerin – dabei vertritt sie ihre Positionen entschieden, ohne jedoch Manipulation oder Kontrolle auszuüben.
- Durch die Förderung der Kapazität, Stärke und Klassenbewusstsein sozialer Bewegungen – und bereitet diese im Laufe der Zeit auf eine revolutionäre Konfrontation mit Kapital und Staat vor.
- Durch die Bekämpfung reformistischer, antidemokratischer, autoritärer oder reaktionärer Elemente innerhalb sozialer Bewegungen.
Die SAO & interne politische Arbeit
Zusätzlich zu ihrer Arbeit im Massenbereich arbeitet die SAO auch daran, die Disziplin, Kapazität und Fähigkeiten ihrer Mitglieder zu entwickeln. Dies umfasst:
- Die Bereitstellung von Bildung und Ausbildung für ihre Mitglieder in theoretischem Wissen und organisatorischen Fähigkeiten.
- Den Aufbau von Selbstvertrauen bei den Mitgliedern, damit sie effektiv in externen Aktivitäten agieren können.
- Bereitstellung einer politischen Heimat, in der Mitglieder Erfahrungen austauschen, Informationen weitergeben, sich gegenseitig unterstützen und Debatten ausserhalb der Öffentlichkeit führen können.
- Die Entwicklung eines Programms durch eine gemeinsame Analyse der aktuellen Bedingungen.
Die SAO & externe politische Arbeit
Die SAO sollte daran arbeiten, politische Bildung bereitzustellen und Propaganda zu erstellen, um ihre Perspektiven in grossem Umfang zu kommunizieren und zu popularisieren. Dies wird der SAO auch eine greifbare Präsenz über ihre organisatorische Arbeit hinaus verschaffen. Methoden umfassen:
- Die Veröffentlichung von Materialien (z.B. Online- und Printmedien), die die Standpunkte der SAO darstellen, ihre Aktivitäten dokumentieren und auf ihre Kritiker*innen eingehen.
- Die Durchführung von populärer Bildung durch kostenlose oder kostengünstige Kurse und öffentliche Veranstaltungen sowie Kooperationen mit anderen Gruppen, die ähnliche Ziele verfolgen.
- Die Erstellung von Propagandamaterialien (z.B. Aufkleber, Poster, Wandbilder), die komplexe Ideen, die von der SAO unterstützt werden, in einfacher Sprache vermitteln, um grosse und vielfältige Bevölkerungsgruppen anzusprechen.
Organisatorische Prinzipien
Damit die oben genannten spezifischen Aufgaben effektiv umgesetzt werden können, muss die SAO auf einer soliden Grundlage aufgebaut sein. Eine effektive anarchistische Organisation wird durch folgende Elemente zusammengehalten:
- Ideologische Kohärenz: Sie ist keine Ansammlung konkurrierender anarchistischer Strömungen, sondern konzentriert sich auf eine spezifische Menge von vereinbarten Prinzipien und Traditionen.
- Strategische und taktische Einheit: Nach einer gründlichen Analyse der aktuellen Situation arbeitet die SAO daran, einen gemeinsamen Plan (Programm) für das Eingreifen zu entwickeln. Das Programm sollte eine gewisse Flexibilität aufweisen, da es stets an die aktuellen Bedingungen angepasst werden muss.
- Selbstbewusstsein und Kritik: Die muss daran arbeiten, ihre Erfolge und Misserfolge zu dokumentieren. Sie muss kritisch hinterfragen, warum und wie diese Ergebnisse erreicht wurden, um aus ihren Erfahrungen zu wachsen und zu lernen.
- Kollektive Verantwortung: Die Mitgliedschaft in der SAO erfordert ein hohes Mass an Verantwortung; gegenüber anderen Mitgliedern, den kollektiven Vereinbarungen der Organisation, in der Funktion als Vertreter*in der Organisation bei externen Aktivitäten usw.
- Direkte Demokratie und Delegation: Die SAO arbeitet mit einer direktdemokratischen Entscheidungsstruktur. Die Verantwortung für bestimmte Aufgaben innerhalb der Organisation sollte durch Delegation von Befugnissen den Mitgliedern übertragen werden.
- Prinzipientreues Verhalten: Meinungsverschiedenheiten, Kritiken und Konflikte – sei es zwischen Mitgliedern, mit anderen Organisationen oder mit anderen Individuen – sollten intern oder durch einen privaten Prozess gelöst werden. Die SAO und ihre Mitglieder sollten sich vom zersetzenden Spektakel öffentlicher Verurteilungen fernhalten.