05.11.2025

Die soziale Revolution – Teil 3

Nachdem wir im ersten und zweiten Teil dieser Beitragsreihe über die soziale Revolution eher theoretische Aspekte betrachtet haben, wollen wir im dritten und letzten Beitrag einige Beispiele aus der Praxis nennen. Diese kurzen Zusammenfassungen sollen zeigen, dass sozialrevolutionäre Prozesse möglich sind und wir diese studieren müssen, um aus den historischen Erfahrungen Schlüsse für heute zu ziehen. Ebenfalls sollen diese Zusammenfassungen ein Interesse wecken, mehr über diese Bewegungen erfahren zu wollen. Der Anarchismus hat nicht nur eine reiche Theorie, sondern auch eine lange Geschichte der revolutionären Praxis, die leider etwas in Vergessenheit geraten ist.

Die Strandzha Kommune
Die Strandzha Kommune war eine kurzlebige anarchistische Gemeinschaft, die im August 1903 während des Ilinden-Preobrazhenie-Aufstands in den Strandzha-Bergen im heutigen Bulgarien und der Türkei entstand. Initiiert wurde sie von Rebellen der Internen Mazedonisch-Adrianopeler Revolutionären Organisation (IMARO). Mihail Gerdzhikov – späteres Gründungsmitglied der plattformistischen FAKB – war einer der einflussreichsten Akteure. Nach erfolgreichen Aufständen gegen die osmanische Herrschaft übernahmen die Rebellen die Kontrolle über 92 griechische und bulgarische Dörfer und gründeten die Kommune, die auf den Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Solidarität basierte.

In der Strandzha Kommune gab es keine staatliche Autorität. Stattdessen wurden lokale Kommissionen von den Gemeinden gewählt. Diese arbeiteten eng mit bewaffneten Milizen zusammen, die die Gesellschaft verteidigten. Die Wirtschaft wurde kollektiv organisiert: Land, Vieh und Ernte wurden gemeinschaftlich genutzt. Die Kommune bestand etwa 20 Tage, bevor sie von der osmanischen Armee mit rund 40’000 Soldaten gewaltsam aufgelöst wurde. Trotz ihrer kurzen Existenz gilt die Strandzha Kommune als eines der ersten Beispiele für libertären Sozialismus und hatte nachhaltigen Einfluss auf die bulgarische anarchistische Bewegung.

Die mexikanische Revolution
Die anarchistische Bewegung rund um Ricardo Flores Magón und die von ihm gegründete Partido liberal Mexicano (PLM) spielte während der Mexikanischen Revolution (1910–1920) eine bedeutende Rolle für die Entwicklung radikaler sozialer Ideen. Die PLM verstand sich nicht bloss als politische Oppositionspartei, sondern propagierte und praktizierte gezielte, direkte Aktionen wie Streiks, Aufstände und bewaffnete Übernahmen, nicht nur um einzelne Mächtige zu stürzen, sondern um Privatbesitz und den Staat zu überwinden. Ziel der Magonistas war eine soziale Revolution mit dem Schwerpunkt auf kollektiver Landnahme, Selbstverwaltung und der Übergabe der Produktionsmittel an die Gesellschaft.

Die PLM nannte sich zwar liberal, verbreitete aber faktisch anarchistische Inhalte. Die Bewegung war stark von den Ideen von Peter Kropotkin und Errico Malatesta geprägt. In ihren Schriften forderten die Magonistas die unmittelbare Enteignung und Übergabe von Land, Fabriken und Minen an die Arbeiter*innen und Bäuer*innen, unabhängig vom Geschlecht. Ebenso lehnten sie neue Herrschende oder jede Art eines Staates konsequent ab und setzten stattdessen auf Autonomie und gegenseitige Hilfe. Der revolutionäre Prozess wurde als kollektiven, von unten organisierten Befreiungsakt verstanden und somit nicht einfach als Regierungswechsel. Das Ziel war also die fundamentale Umgestaltung der Gesellschaft auf anarchistischer Grundlage.

Anarchismus in der Mandschurei
Die Koreanische Volksvereinigung in der Mandschurei (KVM) war ein anarchistisches Projekt im Nordosten Chinas. Sie entstand 1929 aus der Koreanischen Anarchistischen Föderation in der Mandschurei (KAFM) und der Koreanischen Anarchistischen Kommunistischen Föderation (KAKF). Hintergrund waren jahrzehntelange Aufstände in Korea, die japanische Kolonisierung ab 1910 und politische Repression, die viele Unabhängigkeitskämpfer*innen ins Exil trieb. In der Mandschurei lebte bereits eine grosse koreanische Diaspora, in der anarchistische Ideen grossen Anklang fanden. 1929 errichteten Anarchist*innen in Shinmin Verwaltungs- und Entscheidungsstrukturen: gewählte Delegiertenräte, Ausschüsse für Bildung, Wirtschaft, Gesundheit, Jugend und militärische Fragen. Die Landwirtschaft und Industrie wurden teilweise kollektiviert.

Die KVM konkurrierte mit koreanischen Nationalist*innen und moskautreuen Kommunist*innen, die zunächst Bündnisse mit der KVM suchten. Rivalitäten und der Mord am Anarchisten Kim Jwa-Jin durch autoritäre Kommunist*innen, schwächten die anarchistische Bewegung. Darauffolgende Vergeltungsaktionen zwischen Anarchist*innen und moskautreuen Kommunist*innen verschärfte die Situation weiter. 1930 begann Japan mit Angriffen auf die Grenzgebiete der Mandschurei. Diese setzten sich im Folgejahr fort und mündeten in der japanischen Invasion der Mandschurei, welche die KVM zerschlug. Nach ihrer Auflösung zerstreuten sich die koreanischen Anarchist*innen über Korea und China, was die Bewegung schwächte und ihre zuvor erreichte Dynamik und organisatorische Stärke brach.

Die spanische Revolution
Die Massenmobilisierungen und die Niederschlagung des faschistischen Putschversuchs durch die CNT-FAI im Juli 1936 ermöglichten den Anarchist*innen, ihre libertären Ideen in die Praxis umzusetzen. In grossen Teilen Kataloniens und in Barcelona übernahmen sie daraufhin die Kontrolle über Produktions- und Kommunikationsmittel sowie den Verkehr und organisierten diese kollektiv und demokratisch. In der Landwirtschaft kam es ebenfalls zu einer weitreichenden Kollektivierung. Es wurden rund zwei Drittel des Landes in der Republikanischen Zone von Gemeinden und Kooperativen selbstverwaltet.  An der Kollektivierung waren mehr als fünf Millionen Bäuer*innen beteiligt.

Die anarchistische Bewegung errichtete Milizen zur Verteidigung der gesellschaftlichen Errungenschaften und setzte auf eine föderale Selbstverwaltung ohne zentrale staatliche Autorität. Das Ziel war eine freie, auf Solidarität und gegenseitiger Hilfe aufgebaute Gesellschaft. Die Arbeiter*innen kollektivierten Industrie und Landwirtschaft. Sie organisierten die Produktion selbständig durch Abstimmung in offenen Versammlungen und Syndikaten. Ebenfalls versuchten sie, auch das soziale Leben basisdemokratisch sowie föderal zu gestalten. Die Revolution war ein konkreter Versuch, Gesellschaft und Wirtschaft ohne Staat und Kapitalismus nach den anarchistischen Prinzipien Selbstverwaltung, Solidarität und freier Assoziation zu organisieren. Dies führte zu einer bisher beispiellosen sozialen Transformation.

Fazit
Alle diese Bewegungen haben eines gemeinsam: Sie entstanden nicht plötzlich, sondern sind das Ergebnis eines langen sozialrevolutionären Aufbauprozesses. Soziale Revolutionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie vom Volk selbst getragen werden. Deshalb muss eine breite Front von sozialen Bewegungen geschaffen werden, die mit anarchistischen Ideen und Prinzipien sympathisieren. Es wird klar, dass wir aktiv in der Gesellschaft wirken müssen, weil wir nur so die soziale Kraft entwickeln können, um unsere Ideen gegenüber den Herrschenden durchzusetzen. Der Aufbau von Volksmacht ist dabei sowohl unsere Strategie als auch unser Ziel, denn die sozialen Organisationen sind nicht nur unsere Kampforganisationen, sondern stellen die Institutionen der kommenden Gesellschaft dar.

Wenn wir den libertären Sozialismus aufbauen wollen, ist der erste Schritt eine aktive Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, sowie die aktive Beteiligung in der Klimabewegung, in feministischen, antirassistischen oder nachbarschaftlichen sozialen Organisationen. Nur durch eine anarchistische Massenlinie und eine Strategie des Machtaufbaus von unten können wir die Bedingungen schaffen, um das staatlich-kapitalistische System zu überwinden. Wir müssen verstehen, dass Freiheit und Befreiung nur durch die Gesellschaft selbst möglich sind und Isolation in anarchistischen Inseln sowie unzusammenhängender Aktionismus die faktische Niederlage unserer Bewegung bedeutet.

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