23.10.2025

Die soziale Revolution – Teil 1

Einleitung
Für die meisten Anarchist*innen gehört die soziale Revolution zu den zentralen Zielen. Bilder und Rhetorik über Revolutionen finden sich überall in der anarchistischen Bewegung, doch meist fehlt eine vollständige und detaillierte Erklärung dessen, was mit der sozialen Revolution genau gemeint ist. Gestützt auf die Schriften und politischen Programme revolutionärer anarchistischer Organisationen wie der Federação Anarquista do Rio de Janeiro (FARJ), der Organização Socialista Libertária (OSL), der Black Rose Anarchist Federation (BRRN) und der Federación Anarquista Uruguaya (FAU) stellen wir hier eine aktuelle Vision einer anarchistischen sozialen Revolution vor.

Soziale oder politische Revolution
Um zu verstehen, was eine soziale Revolution ist, hilft es, sie zunächst von der politischen Revolution zu unterscheiden. Politische Revolutionen drehen sich um die Ergreifung der Staatsmacht, so zum Beispiel die Französische Revolution, die Revolutionen von 1848/1849 oder später auch staatssozialistische Revolutionen wie jene in Russland und Kuba. Dieser Austausch einer herrschenden Minderheit durch eine andere kann zwar Veränderungen in den Herrschaftsstrukturen bewirken, ist aber nicht in der Lage, diese zu zerstören. Das liegt daran, dass der Staat selbst eine Herrschaftsstruktur ist und kein neutrales Instrument, das für emanzipatorische Zwecke übernommen und genutzt werden kann.

Charakter der sozialen Revolution
Eine soziale Revolution ist sowohl durch Zerstörung als auch durch Schöpfung gekennzeichnet. Sie zerstört das gesamte System der Herrschaft, mit dem Ziel, ihr zukünftiges Wiederauftreten zu verhindern. Dazu gehört die unmittelbare Abschaffung des Staates und der kapitalistischen Produktionsweise zusammen mit Privateigentum und Markt. Aber ebenfalls das fortschreitende Überwinden alter kultureller Normen und aller anderen Herrschaftsformen wie Rassismus, Kolonialismus und Patriarchat.

Charakter der sozialen Revolution II
Diese Akte der Zerstörung sind mit einem Schöpfungsprozess verflochten. Die Mittel, mit denen das System der Herrschaft zerstört wird, sind zugleich dieselben Mittel, durch die eine libertär-sozialistische Gesellschaft entsteht. Mit anderen Worten: Wenn die Front der unterdrückten Klassen die notwendige gesellschaftliche Kraft angesammelt hat, um eine endgültige Konfrontation mit dem herrschenden System einzuleiten, wird sie vor allem in jenen Orten stattfinden, in denen soziale Bewegungen verankert sind – an unseren Arbeitsplätzen, Quartieren, Schulen oder Gefängnissen. Dies, indem sie diese in manchen Fällen enteignen und unter Selbstverwaltung stellen und in anderen Fällen abschaffen oder neu denken.

Wann und wie?
Eine soziale Revolution vollzieht sich weder schnell noch ist deren Umsetzung einfach. Sie lässt sich nicht sauber in einem einzigen spektakulären Tag durchführen, an dem alle alten Strukturen zerschlagen werden und eine neue Gesellschaft entsteht. Einmal eingeleitet, wird eine soziale Revolution ungleichmässig voranschreiten. Es gibt keine Möglichkeit, mit Sicherheit vorherzusagen, wie genau eine soziale Revolution aussehen wird. Ebenfalls sollten wir spontane Aufstände oder Erhebungen, egal wie gross, nicht mit einer sozialen Revolution verwechseln.

Wann und wie? II
Dies wird deutlich an den jüngsten Massenaufständen auf der ganzen Welt – dem Arabischen Frühling, der George-Floyd-Rebellion oder den Gilets Jaunes, die sich nicht zu sozialen Revolutionen verdichtet haben. Diese kleineren Explosionen sind das Ergebnis des Klassenkampfes und insofern wichtig, als sie kurzfristige Erfolge bringen und uns helfen können, unsere Strategie und Taktik als Revolutionär*innen zu erproben. Ohne einen richtigen Aufbau, wie auch die Organisation und Anwendung gesellschaftlicher Kraft können diese Momente offenen Konflikts ihre Grenzen aber nicht überschreiten. So treten sie nicht in eine Phase des revolutionären Bruchs ein, die das gesamte System grundlegend herausfordern kann.

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