Die Revolution in Shinmin

7. Januar 2025

Überblick

Die Koreanische Volksvereinigung in der Mandschurei war der Name einer staatenlosen kommunistischen Region im Nordosten des heutigen Chinas. Diese Region wurde hauptsächlich im Jahr 1929 von der Koreanischen Anarchistischen Föderation in der Mandschurei (KAFM) und der Koreanischen Anarchistischen Kommunistischen Föderation (KAKF) gegründet. Die Geschichte dieses kurzlebigen revolutionären Projekts ist komplex und geprägt von Herausforderungen – die folgende Darstellung soll lediglich einen allgemeinen Überblick geben. Wir erachten es als äusserst wichtig, anarchistische Geschichte zu studieren, damit wir heute aus gemachten Fehlern lernen können. Zudem zeigt es auch, dass unsere Ideen umsetzbar sind und die Welt auch eine andere Ordnung haben kann.

Kontext

Die koreanische Gesellschaft war im 19. Jahrhundert weitgehend instabil und wurde immer wieder von Bäuer*innenaufständen unterschiedlicher Grössenordnung und Intensität heimgesucht. Der grösste dieser Aufstände wurde 1894 von Bäuer*innen angeführt, die der Donghak-Religion angehörten. Dieser Aufstand erreichte eine solche Stärke, dass das koreanische Königreich militärische Unterstützung von der chinesischen Qing-Dynastie anforderte. Die Qing-Dynastie entsandte Truppen, um die Aufstände niederzuschlagen.

Durch die Entsendung militärischer Hilfe nach Korea behauptete das Kaiserreich Japan, die Qing-Dynastie habe gegen die Tiensin-Konvention verstossen. Dies veranlasste Japan, in Korea einzumarschieren – angeblich, um Korea vor China zu schützen. Zunächst begann dies als militärische Besetzung, wobei Japan im Jahr 1910 dazu über ging, Korea offiziell zu annektieren und zu kolonisieren.

Besatzung

Die imperiale Besatzung Koreas durch Japan wurde von der koreanischen Bevölkerung weitgehend verachtet. Anfang März 1919 brachen die ersten gross angelegten anti-imperialistischen Demonstrationen in Korea aus und lösten Jahrzehnte anhaltenden Widerstand unter dem Banner der Bewegung des 1. März aus. Die japanischen Besatzungskräfte reagierten darauf mit jahrelanger Repression wie Verhaftungen, Misshandlungen, Folter und Mord. Unter diesen Bedingungen sahen sich einige der prominentesten koreanischen Unabhängigkeitskämpfer*innen – darunter auch Anarchist*innen – gezwungen, aus dem von Japan kontrollierten Korea zu fliehen. Viele von ihnen liessen sich in der Region Mandschurei nieder, nordöstlich der koreanischen Halbinsel, wo bereits eine grosse koreanische Bevölkerung lebte.

Koreanischer Anarchismus

Der koreanische Anarchismus, sowohl auf der Halbinsel als auch in der Mandschurei, entwickelte sich mit inneren Widersprüchen. Der zentrale Konflikt drehte sich um die Frage der nationalen Befreiung. Während koreanische Anarchist*innen zweifellos die Notwendigkeit sahen, die japanischen Besatzungskräfte zu vertreiben, gab es innerhalb der Bewegung Uneinigkeit darüber, wie die Unabhängigkeit aussehen sollte oder könnte.

1924 wurde die Koreanische Anarchistische Föderation in der Mandschurei (KAFM) gegründet. Kurz nach ihrer Gründung veröffentlichte die KAFM das „Koreanische Revolutionsmanifest“, in dem ihre Vorstellung von sozialer Revolution dargelegt wurde. Das Manifest betonte die Notwendigkeit, die japanischen Besatzungstruppen unverzüglich zu vertreiben und hob die Wichtigkeit einer formellen anarchistischen Organisation hervor, die während einer Revolution eine richtungsweisende Rolle übernehmen kann.

Shinmin

Die KAFM hatte grossen Erfolg dabei, Sympathien und dadruch unterstützende Haltung unter den zwei Millionen Koreaner*innen aufzubauen, die in der Mandschurei lebten. Dies, obwohl sie ständig um Einfluss mit koreanischen Nationalist*innen und  moskautreuen Kommunist*innen konkurrieren musste. Nach 1928 begann die Unterstützung für die anti-japanischen nationalen Kräfte in den Grenzgebieten zwischen Mandschurei und Korea zu schwinden. Daher schlugen diese Kräfte eine Zweckallianz mit der KAFM vor. Die Anarchist*innen stimmten zu, und 1929 wurde ein Hauptquartier in Shinmin eingerichtet.

KVM/KPAM

In Shinmin half die KAFM bei der Einrichtung von Verwaltungs-, Wirtschafts- und Entscheidungsstrukturen, die gemeinsam als Koreanische Volksvereinigung in der Mandschurei (KVM) bezeichnet wurden. In den Regionen Shinmins wurden Wahlen abgehalten, um Delegierte zu bestimmen, die Entscheidungen über eine föderierte Struktur treffen sollten. Es wurden Ausschüsse aus Delegierten gebildet, die sich um Volksbildung, wirtschaftliche Entwicklung, militärische Angelegenheiten, Gesundheit und Jugendfragen kümmerten. Die landwirtschaftliche und industrielle Produktion wurde teilweise kollektiviert. Vor der Entstehung der KVM erlebte der Anarchismus sowohl auf der koreanischen Halbinsel als auch in den Grenzgebieten einen Popularitätsschub. Ende 1929 wurde die Koreanische Anarchistische Kommunistische Föderation (KAKF) gegründet, um der Bewegung eine nationale Struktur zu geben.

Auflösung

Während die KVM wuchs und sich stabilisierte, sahen die moskautreuen Kommunist*innen in der Region ihren Einfluss schwinden. Sie reagierten darauf, indem sie Kim Jwa-Jin, einen führenden Organisator der KVM ermordeten, während er in einer Reismühle arbeitete. Kims Ermordung führte zu anarchistischen Vergeltungsschlägen gegen die autoritären Kommunist*innenen, die wiederum Gegenschläge nach sich zogen. Dieser sich aufschaukelnde, niedrigintensive Konflikt schwächte die KVM erheblich. Anfang 1930 begannen die japanischen Besatzungskräfte mit Angriffen auf Grenzregionen, die sowohl die KVM als auch die allgemeine anti-imperialistische Bewegung ins Visier nahmen. Bis 1931 führte eine umfassende japanische Invasion in die Mandschurei zur Zerschlagung der KVM und ihrer Verbündeten.

Folgen

Der zeitgenössische koreanische Anarchist Min fasst die grundlegenden Fehler der KVM wie folgt zusammen:

„Die Anarchisten in Shinmin wichen von ihren Prinzipien ab. Sie erkannten den Staat an, um mit den Nationalisten zusammenzuarbeiten, weil sie deren regionale Basis benötigten. Dies war ein Selbstwiderspruch. Die Anarchisten gingen ein Risiko ein, indem sie eine regionale Basis mit den Nationalisten teilten, anstatt eine eigene zu schaffen und leider führte diese Zusammenarbeit letztendlich zu ihrer Niederlage.“

Die Auflösung der KVM zerstreute die koreanischen Anarchist*innen über Korea und China. Dies demoralisierte die Bewegung und führte zu einer nihilistischen Haltung, die sie individualistisch und schliesslich wirkungslos machte.

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